Wolfslied Roman
der Schulter in Richtung Stadtrand rannte. Mein hündisches Wolfsrudel folgte mir auf dem Fuß. Ich hatte den Parkplatz des Lokals schon fast erreicht, als ich über etwas auf dem Bürgersteig stolperte und der Länge nach hinfiel.
Zuerst hielt ich es für einen herabgerissenen dicken Ast oder einen Baumstamm. Dann glaubte ich, es wäre ein Toter. Doch auch das stimmte nicht. Es war der Sheriff von Northside, der leblos im strömenden Regen auf dem Boden lag, während von seinem Gesicht Lehm tropfte.
33
Logisch betrachtet musste der Sheriff eigentlich tot sein. Wer lag schon freiwillig im strömenden Regen? Trotzdem versuchte ich ihn an den Füßen zu packen und zum Haus zu zerren. Leider mit wenig Erfolg. Jeder, der schon einmal einen Töpferkurs besucht hat, kann bestätigen, dass es kaum etwas Schwereres als nasse Tonerde gibt - und genauso sah der gute Mann aus: wie eine Statue aus nassem Ton. Sobald ich ihn erkannt hatte, berührte ich den Mondstein an meinem Hals und wusste: Ich muss ihn retten. Selbst wenn er eher so aussah, als ob er in den Brennofen müsste.
»Emmet!«
Nichts. Ich verpasste ihm eine Ohrfeige und brüllte in sein Ohr. Ohne Erfolg.
Okay, er konnte also nicht selbstständig aufstehen. Ich rief die Hunde herbei und zerrte an Emmets Ärmeln, um ihnen zu zeigen, was sie tun sollten. Nach einem Augenblick des Zögerns schnappte sich Schäfer eine Ecke des Ärmels und zog daran. Zusammen schafften wir es, den leblosen Körper etwa dreißig Zentimeter zu bewegen, ehe wir erschöpft aufgaben.
So funktionierte das nicht. Ein weiterer Blick zum Himmel
hinauf zeigte mir, dass uns noch etwa zwei Minuten Zeit blieben, ehe der Tornado uns erreichte. Ich zog Emmet den Hut vom Kopf und sah, dass der letzte Buchstabe seiner Tätowierung verschmiert war. Oder vielleicht war es auch der erste, weil Hebräisch schließlich von rechts nach links geschrieben wird. Da der Regen die Tätowierung unter Emmets Hut nicht hatte wegwischen können, vermutete ich, dass sie bereits früher verwischt worden sein musste - möglicherweise sogar, ehe er in einen Klumpen Ton verwandelt worden war.
Ich brauchte etwas Scharfes.
Eine der Spritzen. Ich holte die größte heraus, die ich bei mir hatte, und zog die Linien des Buchstabens nach, soweit ich sie ausmachen und mich noch erinnern konnte.
»Es funktioniert nicht. Ich muss Sie leider hierlassen, Emmet«, sagte ich, als er sich noch immer nicht rührte. Inzwischen regnete es so heftig, dass ich das Moondoggie’s kaum zu sehen vermochte, obwohl es sich nur fünf Meter entfernt von uns befand.
»Doch, es funktioniert«, antwortete Emmet plötzlich und setzte sich auf. Er wischte sich mit der Hand den Ton vom Gesicht. Darunter zeigte sich seine Haut. »Ich schulde Ihnen etwas.«
»Ich habe Ihnen etwas geschuldet. Jetzt sind wir quitt«, erwiderte ich erleichtert.
Dann half ich dem Sheriff auf die Füße, und wir eilten in großen Sätzen dem Lokal entgegen, die aufgeregt bellenden Hunde auf den Fersen. Mehrmals blickten sie sich ängstlich nach dem näher kommenden Sturm um.
Ich lief auf den Haupteingang des Restaurants zu. Doch Emmet zog mich zur Seite des Gebäudes.
»Nicht das Lokal«, erklärte er. »Wir müssen in den Sturmkeller.«
Bisher waren mir die schrägen weißen Kellerklappen nie aufgefallen, und ohne Emmet hätte ich es auch nicht geschafft, sie zu öffnen. Selbst er musste gegen den Wind ankämpfen, ehe es ihm gelang, sie aufzubekommen.
»Gehen Sie hinein«, sagte er. Der Sturm blies mich fast die Betonstufen in die Dunkelheit hinunter. Auch jetzt folgten mir die Hunde, ohne zu zögern. Einen Augenblick später stand Emmet ebenfalls neben uns. Seine gewaltigen Arme zitterten, als er die Klapptüren hinter uns schloss.
»Mein Gott, das war knapp«, murmelte ich und zog mir die Kapuze vom Kopf. Erschöpft setzte ich mich auf den Boden und lehnte den Rücken gegen die Wand. Der Boden war schmutzig - ich nahm den Geruch von feuchten Steinen wahr. Wie groß der Raum war, ließ sich schwer schätzen. Aber ich spürte auf einmal Zugluft in meinem Gesicht.
»Hier könnt ihr nicht bleiben«, verkündete eine unfreundliche Stimme. Meine Augen gewöhnten sich allmählich an die Dunkelheit, und jetzt nahm ich erst die anderen wahr, die hier ebenfalls Zuflucht gefunden hatten. Außerdem stellte ich fest, dass der Keller mehr oder weniger denselben Grundriss wie die oberen Räume hatte, in denen sich das Lokal befand. Jemand hatte eine alte Couch, einen
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