Wolfslied Roman
war, vertuschen wollte. Vielleicht konnten Männer Freunde sein, ohne einander solche Details zu verraten, aber bei Frauen funktionierte das einfach nicht.
»Du scheinst nicht so schockiert zu sein, wie ich mir das vorgestellt habe«, sagte ich schließlich, nachdem ich alles gebeichtet hatte.
»Abra, ich bitte dich! Wir haben beide für Mad Mal gearbeitet. Schon vergessen? Er hat seine Experimente ja nicht gerade geheim gehalten.«
Als ich Werwölfe noch für eine dämliche Erfindung hielt und nur aus alten Horrorfilmen kannte, war Malachy bereits davon überzeugt gewesen, dass es tatsächlich einen Lykanthropie-Virus gab. Er hatte vermutet, dass der Virus normale Zellen dazu brachte, sich wie fötale Stammzellen zu verhalten, die in der Lage waren, jegliche Form und Funktion anzunehmen.
»Außerdem war es letztes Jahr kaum zu übersehen«, fuhr Lilliana fort, »dass es zwischen dir und deinem Mann ziemlich … beschissen zuging.«
Diese unerwartet deftige Formulierung aus Lillianas Mund ließ mich auflachen, ehe ich merkte, dass sie es absichtlich so formuliert hatte - fast wie ein Jazzmusiker, der um der besseren Wirkung willen eine dissonante Note spielte.
»Die Sache ist die, Lilli: Ich weiß nicht, ob ich wirklich zu Red gehöre oder nicht. Und ebenso wenig weiß ich, ob ein Zusammenbleiben mit ihm bedeutet, dass ich niemals Kinder haben kann.« Ich hatte ihr nichts von meiner Läufigkeit erzählt, weil das dann doch etwas zu viel Information auf einmal gewesen wären. Trotz des nachhaltigen Eindrucks, den eine gewisse Fernsehserie auf viele gehabt haben mochte, sprachen die meisten Frauen in Manhattan, die ich kannte, noch immer ausschließlich mit ihrem Psychotherapeuten über ihr Sexualleben und sonst mit niemandem.
Lilliana ging in die Küche und kehrte mit einer Flasche gekühltem Pinot Grigio und zwei Weingläsern zu mir zurück. »Jetzt mal ganz langsam. So wie ich das sehe, willst du als Erstes einmal wissen, ob du und dieser Mann … ob ihr als Paar funktioniert. Seid ihr als Team stark genug? Und diese ganze Alpha-Geschichte ist vielleicht gar nicht so schlecht. Weißt du, wenn ihr euch auf etwas so Riesiges und Beängstigendes wie ein eigenes Kind einlasst, müsst ihr euch vermutlich beide sicher genug fühlen, um sagen zu können: Okay, das ist mein kleines Rudel, und ich leite es.«
Sie schenkte Wein ein und reichte mir ein Glas.
Ich nahm einen Schluck und fühlte mich sogleich besser. »Irgendwie war ich in dieser Hinsicht lieber ein Mensch. Da hatte die Frage, ob man eine gute Mutter oder ein guter Vater ist, bei mir wenig damit zu tun, ob ich es überhaupt werden kann.«
»Kann sein. Aber du weißt auch, wie sehr das manchmal schiefgehen kann. Komm«, sagte Lilliana plötzlich, stellte entschlossen ihr Weinglas auf den Couchtisch und stand auf. »Was du jetzt brauchst, ist eine kleine Runde Shoppen.«
Ich protestierte und sagte ihr, dass ich Shoppen hasste. Aber es nützte nichts. Sie zwang mich dazu, meine Jacke anzuziehen, während sie sich selbst in einen grauen Wollponcho hüllte - was mich wie eine Obdachlose und sie wie die Königin eines fernen exotischen Landes aussehen ließ.
Dann gingen wir zu meinem bevorzugten Optiker auf der Columbus Avenue. Bei Optical Allusion wurden im Schaufenster die Brillengestelle so geschickt auf kleinen Kissen und Ständern angeordnet, dass sie wie teurer Schmuck wirkten. Im Inneren des Geschäfts standen antike Tischchen
vor kunstvoll mattierten Spiegeln, und die Angestellten kleideten sich mit jener schlichten Eleganz, die einen vermuten ließ, man befände sich in einer exklusiven Kunstgalerie.
Sobald ich den Laden betrat, schämte ich mich für meine alte, zerkratzte Ersatzbrille, meine leblos herabhängenden Haare und die unmodischen Klamotten.
»Ich finde, die sieht toll aus«, meinte Lilliana, die mit ihrer Yogahose, den silberfarbenen Sneakern und einem lose um ihren Hals gewickelten Fransenschal in dieser Umgebung völlig entspannt wirkte.
»Welche?«
Wenn ich Lilliana erlaubte, eine Garderobe für mich auszusuchen, würde ich mich vielleicht auch in eine elegante, coole und makellose Frau verwandeln. Zumindest bestand da eine kleine Hoffnung.
»Die.« Sie nahm ein rechteckiges, rot-schwarzes Brillengestell aus einem Schaukasten. »Setz sie doch mal auf. Oh ja, Abs, die ist doch fantastisch. Die betont deine Wangenknochen ganz perfekt.«
»Dies ist auch meine Lieblingsbrille«, erklärte der Verkäufer, ein gertenschlanker Mann
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