Wolfsmagie (German Edition)
keinerlei Beweise, dass sie nicht alle einfach ausgerissen sind. Und auch keine, dass die toten Mädchen ermordet wurden. Es ertrinken ständig Menschen im Loch Ness.«
»Ständig?«, hakte Kris nach. »Im Ernst?«
»Ja. Die Welt ist voller Dummköpfe.«
Da konnte sie nicht widersprechen.
»Sie fallen aus einem Boot«, fuhr er fort, »oder stürzen von einer Klippe. Aufgrund der Wassertemperatur versagt binnen Minuten der gesamte Organismus. Dann ist man erledigt.«
»Es fällt mir schwer zu glauben, dass alle diese Frauen aus einem Boot gefallen oder von einer Klippe in den Loch Ness gestürzt sein sollen.«
»Es sind schon merkwürdigere Dinge passiert«, murmelte Alan Mac.
»Zum Beispiel?«
Er schüttelte den Kopf, als wollte er die Erinnerung an diese merkwürdigeren Dinge vertreiben, dann rieb er sich übers Gesicht. »Gibt es etwas, womit ich Ihnen helfen kann?«
Kris starrte ihn mehrere Sekunden an, aber er hatte wieder in seinen Stoischer-Polizist-Modus umgeschaltet. Der müde Mann, den sie zuvor gesehen hatte, der, der ihr vielleicht etwas Lohnendes erzählt hätte, war nicht mehr da.
»Ich wurde letzte Nacht attackiert.«
»Mit attackiert meinen Sie …«
»Dass man mir eins auf die Rübe gegeben und mich zum See geschleift hat.« Skepsis breitete sich auf Alan Macs Zügen aus, darum wischte Kris die Haare von ihrer Schläfe. »Sehen Sie?«
Mit schmalen Augen inspizierte er die gänseeigroße Beule, dann sah er ihr wieder ins Gesicht. »Sie kommen besser rein und geben das zu Protokoll.«
»Sie haben niemanden gesehen?« Alan Mac musterte stirnrunzelnd das Blatt Papier, auf dem er sich während ihres Frage-und-Antwort-Spiels Notizen gemacht hatte. »Nichts gehört?«
»Nicht, bis ich zu mir kam und Liam Grant da war.«
Der Polizeichef sah hoch, sein Stirnrunzeln war noch stärker als zuvor. »Wer?«
Kris beschloss, nicht zu erwähnen, dass es sich bei Liam um ihren imaginären Freund handelte. Auch sie hatte ihre Schmerzgrenze, und die war erreicht.
»Er sagte, sein Name sei Liam Grant.« Nur hatte er das nicht letzte Nacht gesagt.
»Ich wusste nicht, dass es unter den Grants in Drumnadrochit einen Liam gibt. Obwohl …« Sein Blick driftete an ihrer Schulter vorbei und nach oben. »Es gibt diesen Namen mehrfach in Dores.«
Dougal hatte das Gleiche gesagt. Vielleicht sollte sie einen Abstecher nach Dores machen. Falls sie herausfände, dass Liam Grant in einer Wohnung lebte, einer Arbeit nachging, irgendetwas Normales tat, dort draußen in der Welt, wo noch andere Menschen außer ihr ihn sehen konnten, würde sie sich deutlich besser fühlen.
»Um wie viel Uhr war das?«
Kris überlegte. Sie und Dougal waren essen gegangen, anschließend hatten sie am Loch Ness den Sonnenuntergang bewundert, sich eine Weile unterhalten und waren dann zurückgefahren.
»Kurz nach neun.«
»Das passt«, brummte Alan Mac.
»Was passt?«
Er guckte sie an, als hätte er sie komplett vergessen, dann schürzte er verärgert die Lippen. Ob er sich über sich selbst ärgerte oder über sie, wusste Kris nicht, und es war ihr auch egal.
»Carrie wurde kurz darauf als vermisst gemeldet«, erklärte er.
»Sie glauben, dass derjenige, der mich niedergeschlagen hat und anschließend gestört wurde, die Straße hinuntergetrottet und dabei auf das Mädchen gestoßen ist?«
Alan Mac spreizte seine großen, harten Hände. »Wie schon gesagt, es passt.«
Kris überkam ein Anflug von schlechtem Gewissen, doch sie bezwang es resolut. Sie traf keine Schuld, sondern denjenigen, der diese Frauen überwältigte und ertränkte. Der Täter müsste sich schuldig fühlen, auch wenn das natürlich nicht passieren würde. Weil Menschen, die zu so etwas fähig waren, keine Gefühle kannten.
»Die beiden Mädchen, die tot aufgefunden wurden …«, wagte Kris den Vorstoß, woraufhin Alan Mac ihr ins Gesicht sah. »Wissen Sie, wer sie waren?«
Er senkte den Blick auf seine Notizen. »Noch nicht.«
»Also keine Einheimischen.«
»Nein.«
»Was wird Ihr nächster Schritt sein?«
Alan Mac hatte sein Sakko ausgezogen und saß nun in Hemdsärmeln hinter seinem Schreibtisch. Verständlich. Trotz der Kühle der Luft draußen war es hier drinnen stickig und warm. Er beugte sich vor, stützte die Ellbogen auf den Tisch und legte den Kopf in die Hände. »Ich weiß es nicht.«
Sein rechter Ärmel rutschte nach oben. Ein schwarzer Streifen umkränzte seinen Bizeps. Er schien viel breiter zu beginnen, als zu enden – wahlweise zu
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