Wolfsmondnacht (German Edition)
Schwester. In ihrem standen Entsetzen und Verzweiflung. Ihr Mund war geöffnet zu einem stummen Schrei.
»Um das Leben deines Kindes willen«, sprach er, »schreie nicht.«
Sie schrie nicht, doch sie weinte leise. »Wer bist du? Mein Bruder bist du nicht.«
Jean-François trat näher zu dem Bett. »Das bin ich sehr wohl, ma sœur .«
»Du hast sie getötet.«
» Oui , das habe ich. Ich werde jeden töten, der diesem Kind oder dir etwas antun möchte oder sonstwie eine Gefahr für euch ist.« Er beugte sich vor und streichelte das Köpfchen des auffällig behaarten Säuglings, der an Célestes Brust schmatzend seine erste Mahlzeit zu sich nahm.
Tränen hingen an ihren Wimpern, als sie Jean-François ansah. »Ich weiß nicht, warum das Kind so behaart ist.« Sie schluckte schwer.
Jean-François lächelte. »Ah, dann hast du es tatsächlich mit dem Teufel getrieben. Ist es wahr, dass sein queue …«
»Hör sofort auf damit oder ich werfe etwas nach dir.« Zufrieden bemerkte er, wie Zorn einen Teil der Verzweiflung in ihrem Blick verdrängte. Es war ein Anfang.
»Es ist mir gleichgültig, was dieses Kind ist. Ich werde dich und meinen Neffen schützen.«
»Dein Neffe ist ein Mädchen.«
»Och.« Er blickte sie erstaunt an. »Etwas viel Brustbehaarung für ein Mädchen, findest du nicht auch?«
Ein schwaches Lächeln umspielte ihre Mundwinkel. »Gleichgültig, was mit dir geschehen ist und was du bist, ich erkenne meinen Bruder in dir.«
Er beugte sich über die Wiege und näherte sich mit dem Rasiermesser dem eingeseiften Kind. Céleste schrie auf.
»So schrei doch nicht so«, sprach Jean-François, »oder denkst du, wir können sie so behaart, wie sie ist, Tante Camille zeigen?«
»Nein, gewiss nicht.« Céleste schüttelte den Kopf. »Ich war zu Tode erschrocken, als ich meine Tochter das erste Mal sah und dennoch liebe ich sie. Seit dem Zeitpunkt, an dem ich sie das erste Mal in meinem Bauch bewegen spürte, liebe ich sie über alles.« Tränen liefen über Célestes schönes Gesicht. »Und ich liebe sie auch jetzt noch, obwohl sie so behaart ist. Sie fühlt sich an wie ein Kind und nicht wie ein Tier.«
»Eben das ist mir auch aufgefallen. Unter all dem Haar befindet sich ein gewöhnliches Kind. Soweit ich erkennen kann, besitzt sie weder Hufe noch Hörner, obwohl du es mit dem Teufel ...«
»Jean-François, hör auf damit oder ich bringe dich um!« Céleste wischte sich die Tränen aus dem Gesicht. Trotz allem musste sie lachen. »Du bist entsetzlich!«
»Oui, jeder hat seine Talente.« Er nahm eine Strähne des eingeseiften Haares zwischen Daumen und Zeigefinger und hob das Rasiermesser erneut an.
»Wird es ihr nicht Schmerzen bereiten?«
»Ich versuche es zu vermeiden. Wenn sie uns alle als Hexen verbrennen, dürfte dies schmerzhafter sein.«
Céleste blickte nervös zur abgeschlossenen Tür.
»Wann kommt Tante Camille zurück?«, fragte er.
»Jeden Moment. Die Abendmesse dürfte schon vorbei sein.«
»Verlieren wir keine Zeit.« Er straffte die Haarsträhne zwischen seinen Finger und mit einem Mal hielt er sie in der Hand. Das Messer jedoch lag noch unbenutzt in seiner anderen Hand. Der Säugling blinzelte Jean-François überrascht an.
»Céleste?«
» Oui ?«
»Das Haar löst sich von selbst, wenn man etwas fester daran zieht.«
Es gelang Jean-François, das Haar aus dem Gesicht des Kindes vollständig zu entfernen. Auch am Körper löste es sich größtenteils.
Er entfernte es und die Reste der Schmierseife und zog das zappelnde Kind an, das nun Protestlaute von sich gab. Jean-François wiegte es im Arm, doch es ließ sich nicht beruhigen. Erst als er es Céleste gab, die es an ihre Brust legte, war es zufrieden.
Sie vernahmen Schritte im unteren Flur. Glücklicherweise hatte er die Leiche der Hebamme bereits beseitigt.
»Was sagen wir zu Camille?«, fragte Céleste mit einem nervösen Blick zur Tür. »Nichts. Zeige ihr das Kind so kurz wie möglich und lass es sie niemals nackt sehen, falls doch noch etwas von dem Haar nachwächst oder es sonstige Eigentümlichkeiten aufweisen sollte.« Besorgt musterte Jean-François sie. Blass und erschöpft sah Céleste aus.
»Denkst du, ich bin verrückt?«, fragte sie.
» Non, ma petite . Wir müssen nur so vorsichtig wie möglich sein.« Er legte seinen Zeigefinger auf seinen Mund und sprach leise. »Sie kommt.« Er trat zur Tür und löste die Verriegelung. Schritte erklangen auf der Treppe. Jemand ging durch den oberen Flur und
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