Wolfsmondnacht (German Edition)
klopfte an die Tür. Jean-François öffnete sie.
» Bonsoir «, sagte Tante Camille. »Ah, wie ich sehe, habe ich die Geburt verpasst. Wie bedauerlich.« Ihrem Tonfall nach zu urteilen, bedauerte sie dies keineswegs.
Céleste lächelte. »Es ging sehr schnell.«
»Deine Mutter hatte auch stets schnelle Geburten. Zumindest erzählte sie es mir so.« Camilles Stimme klang wie berstendes Eis. In diesem Moment ähnelte sie ihrer Schwester auf erschreckende Weise. Sie trat zu der Wiege neben Célestes Bett und warf einen flüchtigen Blick auf das inzwischen schlafende Kind. »Wie wirst du es nennen?«
»Jeanne.«
»Nach deinem verruchten Bruder?« Camille schüttelte ungläubig den Kopf.
» Oui .«
Jean-François hob eine Augenbraue. »Verrucht? Hast du verrucht gesagt?«
»Ja, das bist du«, sagte Camille, »ein schlechter Einfluss für Mutter und Kind und jetzt benennt sie es auch noch nach dir. Unglaublich!«
Jean-François lächelte süffisant. »Sollte sie es lieber Camille nennen?«
Camilla sah in verärgert an. »Die Hebamme ist schon gegangen?«
»Sie hatte es eilig.« Jean-François setzte das beste Unschuldslächeln auf, zu dem er in der Lage war. »Ich habe die Gelegenheit genutzt, um meine Nichte kennenzulernen.«
»Ich hole frische Laken.« Camille verließ den Raum.
Céleste winkte ihren Bruder zu sich. »Was hast du mit der Leiche gemacht?«, fragte sie leise.
»Ich habe sie ins Meer geworfen, dort, wo sie nie wiederkehren wird.« Er dachte an die Haie und die blauschwarzen Wassertiefen, die sich kurz öffneten, um den Leichnam in Empfang zu nehmen. Kurz sprudelte das Wasser tiefrot auf, als koche es in einem Topf voller Blut, dann war ihr Leib für immer verschwunden.
Eine Woche nach Jeannes Geburt unternahm Jean-François einen Nachtspaziergang durch den Wald nördlich von Dôle. Als er an eine Lichtung neben einem kleinen Bach kam, sah er sie.
Im ersten Moment hielt Jean-François sie für ein Bild seiner Fantasie oder eine Waldnymphe von einer ihr ähnlichen Gestalt. Erst als sie ihr langes Haar zurückstrich, das der Wind ihr ins Gesicht geweht hatte, war er sich sicher, dass sie es war. Ihre Arme ruhten auf ihren Knien. Ihren Rücken hatte sie gegen einen Baumstamm gelehnt, die Beine locker angezogen. Sie trug ein blattgrünes Kleid, das in seiner Schlichtheit und dem praktischen Schnitt jenem ähnelte, das sie in der Nacht getragen hatte, in der er sie das letzte Mal gesehen hatte.
Als er vorsichtig näher trat, sah Pamina zu ihm auf. Ungläubigkeit und Erstaunen lagen in ihrem Blick.
»Jean-François?«
» Bonsoir, ma fleur de lune . Ich habe dich vermisst.« Tatsächlich hatte er jenes Gasthaus aufgesucht, dass ihre Post aufbewahrte, doch nichts über sie erfahren können.
»Vermisst?« Verwirrt sah sie ihn an. Erst jetzt bemerkte er, dass ihre Augen gerötet waren. Hatte sie geweint?
»Vermisst? Du verschwindest nach Paris, lässt dich monatelang nicht bei mir blicken, obwohl du es mir versprochen hattest und jetzt behauptest du, mich vermisst zu haben. Ich glaube es einfach nicht.« Ihr Gesichtsausdruck war eine Mischung aus Wut und Enttäuschung.
»Aber es ist die Wahrheit, ma fleur . Du musst mir glauben.«
»Ich muss gar nichts.«
»Es tut mir leid. Ich wollte kommen, doch ich konnte es wirklich nicht. Erst hinderten mich die Geschäfte und dann meine Gesundheit daran. Ich habe es dir doch geschrieben.«
»Geschrieben?«
»Oui, fünf Briefe. Das ist nicht besonders viel in all den Monaten, ich weiß.«
Eine Windböe blies ihr das Haar ins Gesicht. Sie strich es hastig zurück.
»Ich habe keinen einzigen Brief von dir erhalten.«
»Das kann nicht sein. Ein Brief geht verloren, doch nicht fünf. Du bist sicher, dass die Anschrift, die du mir gegeben hast, richtig ist?« Er wiederholte die Anschrift, die sie ihm gegeben hatte.
»Sie ist richtig.« Sie sah ihn an, als führte sie einen inneren Kampf zwischen Freude und misstrauen. »Ich weiß nur nicht, ob ich dir glauben soll. In all den Monaten, in denen ich nichts von dir hörte und sah, fragte ich mich oft, ob ich für dich nur eines von vielen Mädchen war, die allzu willig ihre Beine breitgemacht haben.«
Jean-François legte all die Gefühle, die er für sie empfand, in seinen Blick. »Das bist du nicht, ma fleur . Du bedeutest mir viel mehr.«
»Dafür ist es jetzt zu spät.« Eine Träne löste sich aus Paminas Augenwinkel und rann ihre Wange herab. Jean-François nahm den schillernden Tropfen mit der
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