Wolfsmondnacht (German Edition)
Kuppe seines Zeigefingers auf und leckte ihn ab.
»Zu spät? Was meinst du damit?«
»Ich muss einen anderen heiraten.«
Jean-François starrte sie an. »Was?«
»Mein Bruder, der König, ist tot«, sprach sie mit bebender Stimme. Ich bin die Nächste in der Thronfolge.«
Er starrte sie voller Erstaunen und Entsetzen zugleich an. »Das glaube ich dir nicht.«
»Glaube, was du willst.«
»Was für eine Prinzessin sollst du sein? Die Franche-Compté steht doch unter Herrschaft der Habsburger.«
»Wir sind ein Volk im Volk.«
»Das verstehe ich nicht.«
»Wir sind loup-garous , keine Menschen.« Schnuppernd trat sie näher. »Du aber auch nicht. Was ist mit dir geschehen, Jean-François?«
»Ich bin ein Bluttrinker«, sagte er, als wäre es das Gewöhnlichste auf der Welt. Was hatte er noch zu verlieren?
Zu seinem Erstaunen schien sie nicht überrascht zu sein.
»Es gibt Geschichten darüber in meinem Volk. Ich hielt sie für Märchen. Über Wesen wie dich wissen wir nicht viel. Ihr seid Außenseiter, selbst unter uns Außenseitern.«
»Wie nett.« Jean-François lächelte mokant, obwohl er sich nicht danach fühlte.
»Bist du noch Jean-François?« Unsicher blickte sie zu ihm auf.
» Oui . Wer sollte ich sonst sein?«
»Ein böser Geist oder ein Dämon, auch wenn mir mein Herz etwas anderes erzählt.«
»Spielt es eine Rolle, was ich bin? Du willst mich ohnehin nicht mehr. Also kann auch ich ein Dämon sein, wenn es mir Freude bereitet.«
»Warum so bissig heute?«
»Du hast mich noch nicht bissig erlebt, Weib.«
»Jean-François, bitte.«
»Bitte was? Ich sehe keinen Grund, mich so behandeln zu lassen. Erst wirfst du meine Liebe weg und dann bezeichnest du mich als Dämon, gerade du, eine loup-garou , und bist beleidigt, wenn ich dich dafür nicht mit Koseworten bedenke.«
»Es tut mir leid. Wirklich. Ich wünschte, es wäre anders. Ich wünschte, ich könnte mit dir zusammen sein. Ich will es so sehr.«
»Warum tust du es dann nicht?«
»Mein Volk braucht mich.«
»Warum? Sie haben doch sich selbst. Tust du nur, was andere von dir verlangen?«
»Das Volk fällt ohne mich auseinander.«
»Gibt es niemand anderen, der dies übernehmen kann?«
Sie schüttelte den Kopf. »Nein. Nur einen gibt es, der neben mir den Thron erben könnte, doch er hasst die Menschen und hat einen Hang zur Grausamkeit.«
»Warum sollte dein Volk so jemanden an die Macht lassen?«
»Weil sie es nicht wissen, ich keine Beweise dafür habe und die alten Gesetze es verlangen.«
»Das glaube ich dir nicht.«
»Das glaubst du nicht? Ich glaube auch nicht, dass du fünf Briefe geschrieben hast, die alle verloren gegangen sein sollen. Das ist schon etwas weit hergeholt. Findest du nicht auch?«
Er musterte sie misstrauisch, erkannte in ihrer Mimik jedoch keinerlei Anhaltspunkte darauf, was sie dachte. Zu seiner Verwunderung konnte er nicht in ihre Gedanken vordringen.
»Vielleicht wolltest du meine Briefe nicht? Der untote Sohn einer Hure ist nicht standesgemäß für die Prinzessin, nicht wahr?« Er spürte Verärgerung in sich aufsteigen.
»Sag nicht so etwas. Du weißt, wenn es eine Möglichkeit gäbe … Warum denkst du, habe ich mich dir damals hingegeben?« Sie wischte sich eine Träne aus dem Augenwinkel.
Er verspürte einen Stich im Herzen. Mit einer herrischen Geste schnitt er ihr das Wort ab. »Du wusstest es bereits damals oder ahntest etwas. Non , ich habe keineswegs vor, über den Leib eines Weibes den Thron eines fremden Volkes zu besteigen.«
»Das hätte ich auch nicht von dir gedacht.«
»Gewiss nicht.« Er winkte ab. »Doch selbst wenn du nicht den Thron besteigen würdest, so bist du doch eine Prinzessin deines Volkes und nichts kann dich zu etwas anderem machen.« Er sah sie eindringlich an. »Sage mir noch eines: Hätte es jemals eine Zukunft für uns gegeben? Nicht als dein Liebhaber, sondern als dein Mann, dein Gefährte?«
Sie sah ihn betroffen an. »Wahrscheinlich nicht.« Tränen liefen über ihre Wangen, doch er wandte seinen Blick ab und starrte an ihr vorbei in die Dunkelheit.
»Es geht mir nicht um den verdammten Thron, die Macht oder das Ansehen, Jean-François, höre mir zu. Es geht mir um die Verantwortung meinem Volk gegenüber. Denke nicht, es würde mir leichtfallen, alles dafür aufzugeben.«
»Dein Volk ist mir so fern wie die Sterne dort oben.« Er deutete hinauf in die Schwärze des Alls.
»Siehst du, das ist es, was uns voneinander unterscheidet: Loyalität.«
»Dann
Weitere Kostenlose Bücher