Wolfsruf
Ein rhythmisches Quietsch-Quietsch-Quietsch, als ob das Bett -
Das Bett! War die alte Schlampe ihren Fleischeslüsten so verfallen, dass sie es sich mit einer Wachskerze besorgte? Die Vorstellung brachte ihn beinahe zum Lachen.
Vielleicht sollte ich ihr ein paar Stöße mit dem alten Truthahnhals verpassen, dachte er, bevor ich sie beseitige. Um der alten Zeiten willen.
Er nahm die Lampe in die Hand, stieg auf Zehenspitzen die Treppe hinauf und öffnete leise die Tür zu seinem Schlafzimmer.
»Keine Angst, Liebling«, sagte er. »Es ist bloß der gute alte Cordwainer, der seinem geliebten Weib einen Kuss geben und sich dafür entschuldigen will, dass er nicht eher heimgekommen ist.«
»Der niederträchtige Claggart hat also beschlossen, nach Hause zurückzukehren!«, antwortete ihm eine raue Stimme.
Er hob die Lampe hoch und starrte Major Sanderson ins Gesicht - der splitternackt, bis auf die Stiefel, auf der Bettkante saß. Auch im Halbdunkel leuchtete das rosafarbene Narbengewebe auf seiner Schädeldecke. Sally setzte sich im Bett auf und verhüllte ihr unappetitliches Fleisch mit einer Decke. Sie funkelte Claggart böse an, aber der amüsierte sich insgeheim über ihre Wut.
»Bitte gehen Sie von meiner Frau herunter, Sir«, sagte Claggart und fasste in die oberste Schublade, wo er immer eine geladene Smith and Wesson aufbewahrte.
Er ertastete sie sofort und richtete sie auf den Major. Noch ein Glücksfall, dachte er insgeheim. Jetzt kann ich sie loswerden - wie geplant -, und habe noch dazu das Recht auf meiner
Seite. »Nun, Major«, fuhr er fort, »da ich Sie und mein Weib in flagranti ertappt habe, wie ein Jurist es ausdrücken würde, habe ich das gottgegebene Recht, Sie alle beide ins Paradies zu pusten. Stimmt’s?«
»Guter Mann!«, beschwichtigte ihn der Major. »Sie besäßen nicht einmal den Anstand, mich erst zu einem Duell herauszufordern?« Er tastete nach seiner Uniform, die über einem Korbstuhl neben dem Bett hing; er versuchte, sein Leben mit einem Mindestmaß an Würde zu retten, das war offensichtlich.
»Warum sollte ich? Sie wissen ebenso gut wie ich, dass ich verlieren würde. Ich lass mich doch nicht wegen einem blöden Weib abknallen, und schon gar nicht, wenn ich sie dabei erwischt habe, wie ein anderer Mann in ihrem Faktotum herumfingert. Nein, ich glaube, ich erschieße euch einfach alle beide, gleich hier und jetzt.«
Eine seltsame Erregung überkam ihn. Er feuerte und traf seine Frau mitten in die Brust. Es war ein sauberer Schuss. Sie erbebte, kippte gegen das Kopfende des Bettes und sank zusammen. Die Bettdecke färbte sich rot. Er schaute sie an. Plötzlich bemerkte er, dass er im Augenblick ihres Todes eine unwillkürliche Ejakulation gehabt hatte, die nun an seinen Schenkeln herunterlief und seine Hose durchnässte.
Na so was, dachte er, das ist ja besser als ein Tag in der Kirche, um sich von allen Bürden zu befreien.
Er fragte sich, ob sich diese Erfahrung wohl wiederholen ließe -
Major Sanderson stand auf und bedeckte seine Weichteile mit einem zerlumpten Unterhemd. »Jetzt weiß ich, dass Sie definitiv kein Gentleman sind, Mr Claggart, und dass ich recht daran tat, den Bitten dieser armen Frau zu entsprechen und ihr Trost in jenem Kummer zu spenden, den ihr unnützer Gatte ihr machte. Und nun ermorden Sie sie kaltblütig … schändlich! Obwohl Sie natürlich das Recht für sich in Anspruch nehmen
können, eine Gemahlin zu töten, die Sie in flagranti überrascht haben.«
»Sehr großzügig von Ihnen, das zu sagen, Major Sanderson, wirklich«, antwortete Cordwainer Claggart. Er hielt die Waffe immer noch auf den Major gerichtet, der zitternd seine Uniform anlegte. »Deshalb sollte auch ich großzügig zu Ihnen sein. Ich hege keinen Groll gegen Sie, Major, und mein Rachedurst ist durch den Tod dieser Hure da gestillt. Ich kann verstehen, dass Sie den Verlockungen eines solchen Flittchens wie der verblichenen Mrs Claggart nicht widerstehen konnten, nachdem Sie den lieben langen Tag hindurch wehrlose Indianerfrauen und -kinder abschlachten mussten.«
»Da haben Sie vollkommen recht, Mr Claggart«, meinte der Major. Claggart entging nicht, wie erleichtert er darüber war, dass er nicht sofort ins Gras beißen musste. »Alles Wilde, einer wie der andere.« Er rieb über seine haarlose Schädelplatte. »Ich bedauere, dass Sie meinetwegen Ihre Frau bestrafen mussten, und ich würde gerne die Bestattungskosten übernehmen, als kleinen Ausgleich für die entstandenen
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