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Wolfsruf

Titel: Wolfsruf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S.P. Somtow
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wusste nicht genau, warum er sich so komisch fühlte. Vielleicht weil seine Mutter in den Wald gewandert war, vielleicht war es Neid, weil sein Vater darauf brannte, den Tod eines Mannes zu rächen, den Teddy nur ein paar Minuten gekannt hatte. Während er gleichzeitig für seinen Sohn nur ein oder zwei beiläufige Worte übrig hatte.
    Doch unvermittelt sagte sein Vater, als würde er aus einem Traum erwachen: »Aber ich kann nicht mit Ihnen gehen, Harper … das ist bloß Träumerei. Ich habe jetzt einen Sohn. Er hat so viel durchgemacht, um mich zu finden, und ich bin es ihm schuldig, in Zukunft ein weniger abenteuerliches Leben zu führen.«
    Teddy sah seinem Pa zum ersten Mal direkt in die Augen und erkannte, dass jener ihn tief in seinem Herzen liebte, deshalb widersprach er: »Ich kann viel aushalten, Pa.« Dann fügte er wütend hinzu: »Und ich will mit diesen Dreckswölfen abrechnen, Pa.«
    » C’est mon fils - mein Sohn!«, sagte Grumiaux und strahlte.
    »Dann sind wir jetzt im Krieg«, sagte Scott.

16
    Black Hills
    Abnehmender Mond
     
    Der alte Ishnazuyai wanderte unermüdlich mit dem kleinen Jungen auf dem Rücken durch den Wald Richtung Norden. Alle paar Stunden pausierten sie; Ishnazuyai kniete am Ufer eines Baches nieder und schlürfte Wasser, und der Junge machte es ihm nach. Viele Tage lang wechselten sie kein Wort. Dann begannen sie langsam, miteinander zu sprechen.
    »Wasser«, sagte der Junge und schüttelte den Kopf.
    Blätter raschelten. Beide hielten den Atem an, als sie den Bären rochen, der kaum eine Achtelmeile von ihnen entfernt auf Beutesuche war. Der Junge lächelte, als ein blaugefiedertes Ammermännchen vorbeiflatterte, wie ein buntes Gewitter inmitten der erdigen Farben des Waldes.
    Der Junge kannte die Menschensprache nicht - oh, natürlich sprach er mit der Zunge des weißen Mannes, aber er kannte kein einziges Lakota-Wort -, deshalb verständigten sie sich in der Sprache der vierbeinigen Wesen, die der Junge aber auch nur unvollkommen beherrschte: er lispelte, er verwechselte Heulen und Knurren, er stotterte. Die Shungmanitu von der anderen Seite des Großen Wassers hatten weitab vom Zentrum der Welt gelebt, überlegte Ishnazuyai; der Große Geist hatte sie nur aus sehr weiter Entfernung berührt.
    Der Junge fragte: »Warum bringst du mich von meinem Volk fort?«
    Und Ishnazuyai antwortete: »Als ich ein kleiner Junge war - noch vor meiner ersten Verwandlung -, da hatte ich eine Vision, und in dieser Vision sah ich Wölfe auf einem Eisenfluss in unser Land kommen. Wo immer sie haltmachten, wurde das Land zur Wüste; und Wakantankas Werk wurde zunichtegemacht, denn obwohl das Große Geheimnis diese Wölfe zu Beginn der Zeit
erschaffen hatte, hatten sie sich verirrt und wussten nicht mehr, wo das Zentrum des Universums ist. Und sie rodeten den Wald und trugen die Berge ab, und sie verjagten die Wesen mit zwei Beinen und die mit Flügeln und die mit vier Beinen aus der Ebene. Dann ersetzten sie sie durch Wesen, die kein Leben hatten, sondern nur lebendig zu sein schienen.«
    Während er sprach, wanderte er immer weiter; er sang eher, als dass er sprach, im Rhythmus seiner Schritte. Er fühlte, wie er das Kind mit seiner Vision in Trance versetzte, wie es die Vision mit seinen eigenen Augen sah, denn es besaß die Gabe, mit den Augen vieler Menschen zu schauen.
    Er sprach weiter: »Alle Wege führten dazu, dass die Shungmanitu ausgelöscht wurden, alle außer einem. Denn in meinem Traum sah ich auch, dass einer kommen würde, der zu uns gehörte und doch nicht zu uns gehörte; denn sein Herz war in viele Seelen zersplittert; es war einer, der ganz Mensch und doch ganz Shungmanitu war. Die Zeit verstrich. Meine Mutter wurde alt und verließ das Dorf, um ihren letzten Mondtanz zu tanzen. Und so begann ich mit der Eisenbahn zu fahren, hin und her, hin und her, und auf den einen zu warten, der uns retten kann. Und als ich dir begegnete, wusste ich, wer du warst, und als ich das Begrüßungslied sang, wusste ich, dass du mich verstanden hattest. Und dann sah ich, wie du von den anderen Wölfen geführt wurdest und wie du dich bei ihrem sinnlosen Töten sträubtest, und ich begriff, dass du Mitleid spürst, kleiner Wolf, und konnte es nicht mehr ertragen, dich unter ihnen zu sehen. Ich wollte nur zu dir sprechen, dich nicht fortbringen, aber als ich dich im Dorf sah, fühlte ich große Liebe zu dir, und ich wusste, dass ich dich nicht unter ihnen zurücklassen durfte, so weit vom Zentrum

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