Wolfsruf
spielte leise, und die Sterne schienen, und der Mond schien, umringt von einer strahlenden Korona, über die silbernen Äste, deren Blätter in der leisen, den Nebel teilenden Brise zitterten.
Johnny brummelte und zuckte und versteckte sich vor den unsichtbaren Gesichtern. Jonas knurrte und umkreiste die anderen
und ließ niemanden über den Fluss. Die anderen Persönlichkeiten unterhielten sich aufgeregt, aber niemand wagte es, sich gegen Jonas zu erheben. Jonas tobte, er brüllte, er schnappte nach ihren Waden.
Endlich kam Speranza an den Fluss. Ich kenne diesen Fluss, sagte sie. Ich habe ihn in unzähligen Albträumen gesehen. Und ich weiß, was uns am anderen Ufer erwartet -
Der Fluss schäumte, der Fluss war Blut, der Fluss stank nach dem Monatsblut der Wölfinnen, der Fluss brannte, der Fluss heulte und schrie wie eine geschändete Frau.
Hinter dem Fluss war die Kreuzung - der Ort, wo sich alle treffen würden - der Kreis - der Fels im Feuerring.
Der brennende Mond warf über den Fluss den verzerrten Schatten eines Kreuzes.
»Ich gehe nicht!«, wehrte sich Johnny. Seine Tränen fielen auf den Boden, verbrühten und verbrannten das Gras.
»Du musst, Johnny … du musst«, sagte sie.
Er vergrub sein Gesicht an ihrem Busen, sie versuchte, ihn zu halten, jetzt war er - bisweilen - fast greifbar. Er bemühte sich, real zu werden. »Ich weiß, dass der Wald nur ein Traum ist«, sagte er. »Aber im Traumwald hatte ich ein Baumhaus, in dem ich mich verstecken konnte. Im echten Wald gibt es keine Baumhäuser, oder? Es ist wie die Jäger, die den großen bösen Wolf holen, Steine in seinen Bauch nähen, in dem Rotkäppchen war, ihn in den Brunnen schmeißen. Ich glaube, so ist das Aufwachen. Ich bin ein Wolf. Speranza, ich bin ein Wolf, aber wenn ich schlafe, dann träume ich, dass ich ein Junge bin.«
»Du bist ein Junge!«, widersprach Speranza. »Ein lieber Junge.« Sie drückte ihn an ihre Brust, während drüben eine Flöte weinte. Blut strömte aus seinen Augen, als sie sich umarmten, es war nicht die unschuldige Umarmung der Madonna und des Kindes, denn es lag Lüsternheit in ihr, und der Wolf, der Jonas Kay war, zerrte an ihren Röcken und bellte.
»Komm«, sagte sie. Sie trug Johnny auf ihren Armen und begann,
durch den Fluss zu waten. Blut reichte ihr bis zum Nabel, durchtränkte ihren Leib, drang in alle Poren, aber sie kehrte nicht um. Der Junge schaute sich furchtsam um. Geister waren im Wasser, starrende Fratzen, höhnische Stimmen. Die anderen folgten ihr. Die Angst hatte sie fest im Griff. Das Blut geronn zu kleinen Inseln, und überall schwammen Knochen. »Keine Angst«, sagte sie und wiegte ihn, »was du siehst, ist längst vergangen … längst vergangen.«
Im Schatten des Kreuzes stand der Indianerjunge. Er spielte auf einer Knochenflöte. Die Musik nahm ihr die Angst, und sie trieb die anderen an. Aber als sie das andere Ufer erreicht hatten und am Rande des magischen Kreises standen, schaute sie auf -
Am Kreuz ein Wolf, angeschlagen, weinend - Blut floss aus seinen Händen und Füßen und aus der Wunde in seiner Seite - ein Wolf mit den Augen eines Kindes, der sie mit Kinderstimme anflehte: »Mutter, Mutter …«
Und Cordwainer Claggart lachte, als er sein Werk betrachtete, und sagte: »Wenn das den Wolfsjungen nicht aus seinem Traum reißt, dann will ich nicht Cordwainer Claggart der Dritte heißen!«
Nebel umwallte ihn. Tief unten im Tal brannte ein Tipi; der Gestank verschmorter Büffelfelle drang bis zu ihm herauf. Claggart saß in einer Astgabel, biss einen neuen Pfriem Kautabak ab und wiegte sich vor und zurück, vor und zurück, um sein Opfer noch mehr zu quälen.
Sein Opfer aber sah leidenschaftslos zu ihm auf; er war keinem Schmerz mehr zugänglich, und doch war er noch der perfekte Köder.
Sie kletterten bergauf. Voran immer die geisterhafte Gestalt Speranzas, die zwischen den Bäumen hin und her schwebte, mit Leichtigkeit über Felsbrocken sprang. Der Mond und das flammende
Tipi unter ihnen erhellten den Wald. Und die Abstände zwischen ihnen wurden immer größer.
Sie liefen; der Major setzte der Frau unermüdlich nach, Natalia verfolgte den schönen jungen Soldaten, dieser nichtsnutzige Mischlingsbursche mühte sich hinter ihnen ab, rief immer wieder Scotts Namen.
Er würde ihn nicht beachten. Nicht dieser wunderschöne Soldat, der sich nun, im gleichen Rhythmus wie Natalia, transformierte. Natalia lief neben ihm, stupste ihre Nase in seine Flanke,
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