Wolfstage (German Edition)
der getötete junge Mann war der Bruder von Henrik Hildmann,
einem Kollegen von Ihnen.«
Johanna beugte sich vor. »Herr Mansloh, es wird langsam Zeit, dass
Sie auspacken. Wir wissen natürlich längst, dass Sie im Reitlingstal arbeiten
und dort auch das Bogen-und Armbrustschießen unterrichten. Sie haben Jagd auf
Tiere gemacht, und im Dunstkreis dieser Aktivitäten sind Menschen verschwunden,
verletzt oder sogar getötet worden. Es wäre eine richtig gute Idee, ein
umfassendes Geständnis abzulegen, und zwar jetzt gleich und nicht nur bezüglich
der Aspekte, die wir Ihnen sowieso schon nachweisen können!«
Rolf Mansloh starrte sie an und vergaß für einen Moment das Atmen.
»Was haben Sie am vergangenen Samstagabend gemacht?«
»Ich war zu Hause …«
»Ihre Freundin kann das bestätigen?«
»Sie ist schon früh eingeschlafen, aber …«
»Herr Mansloh, wir werden Ihre Wohnung auf den Kopf stellen und
alles beschlagnahmen, was wir an Zubehör und Material zum Bogen-und
Armbrustschießen finden, dazu einen Großteil Ihrer Kleidung, die
kriminaltechnisch untersucht wird. Es lässt sich heutzutage relativ leicht
feststellen, wo Sie wann waren. Und natürlich werde ich die zuständige
Staatsanwältin anrufen und bitten, dass Sie beim Richter aufläuft, um ihm
Untersuchungshaft für Sie vorzuschlagen, denn es ist ganz offensichtlich –«
»Hören Sie schon auf!« Mansloh fuhr sich durch die Haare. »Ja, wir
haben auf Wild geschossen und auch mal auf Wölfe, wenn wir sie aufstöbern
konnten … Und ja: Ich habe den Jungs Unterricht im Armbrustschießen
gegeben.« Er atmete schwer. »Dafür gab es ein nettes Zusatzhonorar, das ich als
künftiger Familienvater gut gebrauchen kann. Sind Sie jetzt zufrieden?«
»Nein, Herr Mansloh, ganz und gar nicht.«
»Mehr habe ich aber nicht zu bieten.«
Johanna lächelte. »Welchen Jungs?«
Mansloh atmete tief durch und sah zur Seite.
»Peters’ Leuten?«
Er sah sie wieder an, schwieg aber.
»Es gibt ohnehin eine undichte Stelle im Team«, sagte Johanna und
winkte lässig ab. »Es macht sich jedoch wesentlich besser, wenn Sie mit uns
zusammenarbeiten.«
»Eine undichte Stelle? Glauben Sie das wirklich?« Er lachte ein unfrohes
Lachen. »In der Gruppe herrschen ziemlich strenge Regeln. Ich glaube nicht,
dass einer von denen …«
»Warum nicht? Unter Umständen ist irgendwas schiefgegangen. Ein
schlechtes Gewissen kann verdammt belastend sein. Und manch einer tut
vielleicht nur so stark.«
Er schüttelte den Kopf. »Das schätzen Sie falsch ein. Und bei mir
liegen Sie auch daneben: Ich war manchmal dabei, wenn es nachts auf die Pirsch
ging. Das gebe ich zu. Nicht mehr und nicht weniger. Was mit Kati und den
anderen passiert ist, weiß ich nicht.«
Johanna durfte weder ausschließen, dass Mansloh die Wahrheit sagte,
noch unberücksichtigt lassen, dass er seine Rolle unter Umständen sehr
geschickt herunterspielte, solange ihm nichts anderes nachgewiesen werden
konnte. Eine Untersuchungshaft würde Johanna aber erst durchbekommen, wenn es
eindeutige Beweise für eine Beteiligung an den Straftaten gab. Selbst für eine
vorläufige Festnahme war die Beweislage im Augenblick zu dünn. Und das war
Mansloh auch klar, nachdem er den ersten Schreck überwunden hatte.
»Na schön.« Sie stand abrupt auf. »Wie Sie meinen. Wir brauchen noch
Ihre Fingerabdrücke. Ein Kollege wird Sie dann nach Hause begleiten. Händigen
Sie dem Beamten bitte Ihre Armbrust und Ihre Bögen aus oder womit Sie sonst
noch so durch die Gegend schießen. Und bleiben Sie erreichbar für uns. Die
Geschichte ist noch lange nicht ausgestanden.«
Johanna öffnete die Tür und rief nach Schuster. Mansloh erhob sich
langsam und verließ grußlos den Raum. Johanna winkte Schuster zu sich heran.
»Halten Sie auch nach Klamotten und Stiefeln oder Trailschuhen
Ausschau, die fürs Wandern geeignet sind. Sofort in die KTU damit, vielleicht lassen sich Spuren sichern«, sagte sie leise.
»Mach ich.«
»Wie weit ist Colin mit dem PC ?«
»Er sitzt nebenan und flucht.«
»Hört sich gut an. Schicken Sie Henrik Hildmann zu mir?«
»Klar. Frischen Kaffee?«
»Gern.«
Johanna streckte den verspannten Rücken und schloss die Augen. Sie
spürte, wie die Erschöpfung durch ihren Körper kroch, und das Ende des
Arbeitstages war noch lange nicht in Sicht. Plötzlich gab es so viele Hinweise,
dass sie Mühe hatte, sie richtig zuzuordnen, und Angst, die falschen Schlüsse
zu ziehen.
Wenn Mansloh zu Beginn unwirsch
Weitere Kostenlose Bücher