Wolfstraeume Roman
Hunter in einem Alter kennengelernt, als ich noch naiv genug gewesen war, davon überzeugt zu sein, dass ich kurz davor stand, ein neues, glücklicheres, stärkeres Ich zu entwickeln, dass ich mein altes Selbst problemlos zurücklassen könnte, indem ich das richtige College, die richtige berufliche Karriere und den richtigen Mann wählte.
Doch nun fand ich mich in diesem alten riesigen Kasten wieder und wartete auf jemanden, der mich im Grunde gar nicht mehr wollte und schon lange das Interesse an mir verloren hatte. Wenn er durch diese Tür kam, war es an der Zeit, ihn zu verlassen und mich endlich mit einem Leben ohne ihn auseinanderzusetzen.
Kein Wunder, dachte ich, dass die meisten erst dann in der Lage sind, ihre Partner zu verlassen, wenn ein neuer Geliebter am Horizont erschienen ist und ihnen hilft, die Schwelle nach draußen zu überwinden. Es hatte etwas Beruhigendes, einen anderen Menschen im Hintergrund zu
wissen. Nur schade, dass Red in dieser Rolle auf mich nicht noch etwas überzeugender wirkte.
Ich schlief ein, ohne es zu merken. Als die ersten schwachen Sonnenstrahlen durch die Fenster des Wohnzimmers fielen, kam ich wieder zu mir. Aber ich war noch zu erschöpft, um richtig aufzuwachen oder mich zu bewegen. Plötzlich hörte ich ein lautes Krachen und fuhr hoch. Mein Herz schlug schneller, während mein Kopf noch eine halbe Sekunde länger brauchte, um zu registrieren, was passiert war: Die Haustür war zugeschlagen worden. Hunter stand vor mir. Nackt. Und blutig.
»Abra!« Er sah mich mit einem seltsamen Ausdruck an, so als würde er sich schämen, was allerdings so gar nicht zu seinem Charakter und den tiefen Fleischwunden auf seinen Schultern und der Brust passte.
»Mein Gott! Was ist mit dir passiert?«
»Du bist also zurück. Schön. Sehr schön.« Er rieb sich die Hände auf den Schenkeln ab, als wäre er gerade von der Gartenarbeit wieder ins Haus zurückgekehrt. »Dann werde ich mal duschen.«
»Du blutest, Hunter.«
Er blickte an sich herab. »Ah, ja... weißt du, ich habe nach dir gesucht und...««
»Du blutest, und du hast nichts an.«
Etwas in seiner Miene veränderte sich. »Abra«, sagte er mit einer belegt klingenden Stimme. Seine Augen wirkten verwirrt und schmerzerfüllt.
»Was ist passiert?« Ich klang weicher, als ich das wollte. Hastig nahm ich eine Wolldecke, die auf dem Sofa lag, stand auf und ging zu ihm. »Hier.« Ich legte ihm die Decke um die Schultern.
»Ich weiß es nicht.« Er schlang seine Arme um mich, glitt an mir herab und drückte sein Gesicht gegen meinen Bauch, wo sich vor einigen Stunden noch Reds Gesicht befunden hatte. »Abra, ich...«
»Ich bin hier.«
»Geh nicht fort!«
»Ich bin hier, Hunter.«
Seine Arme klammerten sich an mich und hielten mich so fest, dass ich beinahe das Gleichgewicht verlor. Ich strich ihm über die Haare und wusste nicht, was ich sagen sollte. Mein schlechtes Gewissen quälte mich, während es mich vor seinem Geruch nach Schweiß, Blut und Schmutz ein wenig ekelte. Außerdem konnte ich mich nicht erinnern, Hunter jemals vor mir auf den Knien gesehen zu haben. Sein plötzliches Bedürfnis nach meiner Nähe hatte etwas Verführerisches.
Trotzdem versuchte ich mich nach einer Weile von ihm zu lösen. »Warst du... hast du etwas getrunken?«
Hunter rückte ruckartig von mir ab. »Du riechst irgendwie komisch.«
»Ich rieche komisch?«
»Wie...« Er runzelte die Stirn. Dann sah er zu mir hoch. »Verlässt du mich wegen ihm?«
»Wie bitte? Du hast wirklich Nerven, Hunter.« Als ich versuchte, mich von ihm zu befreien, hielt er mich fest. Selbst als er aufstand, wanderten seine Hände an meinen Armen hoch, um mich nicht loslassen zu müssen. »Wo bist du die ganze Nacht gewesen? Bei dieser Kellnerin? Und was ist mit letztem Sommer? Möchtest du mir vielleicht noch mal von dieser ach so faszinierenden Magda erzählen?«
Er holte so tief Luft, dass seine Nasenflügel bebten. »Er
hat sich nicht an dich herangemacht«, erklärte er harsch. »Hast du also ihn angemacht?«
»Nein! Was fällt dir ein!«« Ich riss mich los. Meine Stimme klang erstaunlich gefasst und ruhig, beinahe wie eine Computerstimme. »Wie kannst du es wagen, dich über Red aufzuregen und in Wahrheit selbst...«
»Aber das bedeutet doch gar nichts!« Seine Wangen waren vor Zorn gerötet, und mir wurde bewusst, dass ich noch nie zuvor erlebt hatte, wie Hunter derart die Beherrschung verlor. »Wenn ich mit irgendeiner Tussi bumse, während ich auf
Weitere Kostenlose Bücher