Wolkenfern (German Edition)
ihrem Vater ein Glas Marmite unter die Nase, hier, probier mal, eine echte Schweinerei, da, eine Krawatte für dich, japanische Trommeln, Klänge der Berber, Sahara, Kyoto, Belize, Marmite, Kilimandscharo, Doktor Lipka murmelte etwas Unverständliches, Małgosia redete unbeirrt weiter. Der Vater betrachtete Małgosia, er sah seine braunen, lebhaften Augen, seine gedrungene Figur, das Haar, das wie seines die Farbe von faulendem Laub hatte, doch da, wo er weich war, war die Tochter fest und straff, eine große Brust, doch darunter kein Röllchen, kein hängendes Gewebe an den Hüften, ein kräftiger Körper, in Jeans und Hemd verpackt, geflochtene Armbändchen um die Handgelenke und, er konnte es nicht fassen – eine Tätowierung. Unter den hochgekrempelten Ärmeln die Unterarme mit einer Landkarte aus kleinen Leberflecken bedeckt. Małgosia saß eine Weile mit ihnen zusammen, schmierte ihrer Mutter regenerierende Creme ins Gesicht, begutachtete das neue Ultraschallgerät in der Praxis, aber dieses Sitzen, Schmieren, Begutachten tat sie mit einem Ausdruck im Gesicht, als renne sie schon durch die Büsche hinauf zu diesem seltsamen Mädchen auf Piaskowa Góra. Nie wird Doktor Lipka den Tag vergessen, an dem seine Małgosia und Pastor Postronek Dominika nach dem Unfall fanden. Alles hat sie gekonnt, diese Göre, als wäre sie schon Ärztin, dabei hatte sie grade mal einen Studienplatz bekommen. Seine achtzehnjährige Tochter, noch Gymnasiastin, hatte diesem Mädchen das Leben gerettet. In der »Wałbrzycher Rundschau« hatten sie einen Artikel darüber gebracht, mit Foto, Doktor Lipka hat ihn bis heute aufbewahrt. Małgosia zuckte mit den Schultern, als sie dann ging, um sich mit Dominika zu treffen, und ihr Vater wusste nicht genau, ob das Abwehr oder Hilflosigkeit bedeuten sollte, deshalb antwortete er wortlos mit der gleichen Geste, wie es sich für ihre Anglerunterhaltungen gehörte.
Małgosia rannte durch die Büsche wie damals in jenem Sommer, als sie die Freundin aus dem Kleinen See der Spinnennixe rettete, stieg mit Dominika aufs Dach des Babel, der wie ein Ozeandampfer unter dem grünlichen Himmel durch die Nacht glitt. Jetzt waren sie höher als ganz Piaskowa Góra, in den Fenstern blinkten die Fernseher und Weihnachtsbäume, doch das Leben dort in den Kabinen spielte sich in einer anderen Dimension ab als ihres. Was ist also mit dieser Sara?, fragte Małgosia noch einmal. Erzähl mir alles, Dominika Chmura, erzähl mir was total Verrücktes.
Sara ist eine Nachfahrin der Hottentotten-Venus, beginnt Dominika. Und auch wenn sie es nicht ist, sie könnte es sein. Hast du schon mal von der Hottentotten-Venus gehört? Ja, hab ich, antwortet Małgosia und denkt bei sich, dass Dominika Chmura die Einzige ist, die nach Jahren nicht mit einem unehelichen Kind, einem ausländischen Bräutigam oder deutschen Gebrauchtwagen nach Piaskowa Góra zurückkommt, sondern mit einer solchen Geschichte. Dann weißt du ja, wie die Venus aussah, und kannst dir Sara vorstellen, aber nicht so im Stil der stummen Muse Baudelaires. Sara spricht drei Sprachen, sie riecht nach Patschuli, hat gelbe Augen und sehr starke Hände. Als ich nach dem Unfall schwach war wie eine Fliege, hat sie mich hochgehoben und gesagt: Komm, Kind, gehen wir los. Männer, ob Dichter oder nicht, interessieren Sara nicht, denn Sara liebt nichts so sehr wie Geschichten. Ihre Uroma Destinee erzählte ihr immer von der schwarzen Venus, einer Schauspielerin, die ein Leben in der großen Welt führte, nicht nur hatte sie eine erlesene Garderobe, wie man sie in Brooklyn noch nie gesehen hatte, sie flog auch auf einem Kronleuchter, einem Kronleuchter aus Kristall, stell dir das mal vor. Hoppla hopp – sie packte den Kronleuchter, und auf ging’s nach Paris, nach London, nach Afrika, so wie wir auf dem Dach des Babel nach Wolkenfern. Sara hat erzählt, erzählt Dominika, dass sie selbst, als sie sieben war, auf einen Stuhl geklettert ist und auf Zehenspitzen nach der Lampe gegriffen hat, um zu fliegen, dabei riss die ganze Lampe samt Kabeln ab, vier Tage hatten sie kein elektrisches Licht, und La-Teesha, ihre Oma, war ganz schön sauer, weil sie den Elektriker bezahlen musste.
Von ihrer Uroma Destinee erbte Sara eine Bibel, und darin fand sie einen alten verblassten Zettel mit einem Bild der Venus, die ein bisschen anders aussah als in den Geschichten der Uroma, eher wie die Frauen, die Sara täglich in Brooklyn sah, als wie eine Schauspielerin in Paris. Auf dem
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