Wolkenfern (German Edition)
aufwachen. Der Juni ist der beste Monat für Hochzeiten, denn er hat das glücksbesiegelnde »r« in der Mitte 1 , und außerdem ist es warm, und Bräute sind gern glücklich und nicht verfroren. Die Kleider in jenen Jahren sind voluminös, sie blähen sich von der Taille abwärts auf wie die Blütenkelche genetisch modifizierter Blumen, die Schleier nehmen kein Ende, je länger, desto besser, und nicht selten fährt die mit Bändern, Luftballons und einer Barbiepuppe auf dem Kühler geschmückte Leihlimousine schon an der Kirche in der Siebten Straße vor, und das Ende des Schleiers der polnischen Braut weht noch auf halber Höhe der First Avenue. Die Auserwählte hält sich den Kopf, damit sie ihr nicht aus Versehen den in die Lockenpracht geklammerten Brautkranz abreißen, während die Hochzeitsgäste am Schleier ziehen, ihn einholen wie ein Fischnetz. Die Herren legen die Jacketts ab, die Damen feuern an, Mensch, Scheiße, Staszek, jetzt zieh doch mal am Schleier, wir müssen in die Kirche! Nach der Kirche gibt es die Begrüßung mit Brot und Salz, die Eltern fragen die Braut: Was willst du haben: Brot, Salz oder den Bräutigam?, und sie antwortet: Brot, Salz und den Bräutigam, damit er sich’s verdient. Dieser Moment bringt Pani Stenia immer sehr zur Rührung, und eine Träne rundet sich in ihrem Auge, ach, hätte sie doch nur einen tüchtigen Bräutigam gefunden, dann müsste sie nicht seit Jahren amerikanische Wohnungen putzen und amerikanische gepanzerte Kockrohtschen plattmachen und bei den Hochzeiten fremder Leute zu Tränen gerührt sein. Pani Hania ist auch gerührt bei dem Brot und Salz, aber sie tut so, als ließe es sie ganz kalt. Und danach darf man essen, tanzen, Es lebe hoch! rufen und alle möglichen ulkigen Wettspiele spielen und Pani Stenias Tränen trocknen. Die jungen Leute denken sich immer verrücktere Hochzeitsspiele aus, letztens ging es zum Beispiel darum, wer am schnellsten einen Ballon aufpumpen konnte. Und wie gepumpt wurde! Auf den Schenkeln der Männer saß die Luftpumpe, und pumpen mussten die Damen mit dem Popo, hopp-hopp-hopp hüpfen sie und pumpen, rauf und runter, rauf und runter. Wer als Erste einen Luftballon zum Platzen bringt, hat gewonnen. In diesem Sommer, als Dominika nicht schlafen kann, gab es elf Hochzeiten und sieben Hochzeitsfeiern im Festsaal neben der Küche. Nächtelang hörte Dominika Geh beim Morgendämmer fort, sonst tut es weh im Wechsel mit Spitzenhöschen mit roten Röschen holla holla ho . Manchmal verirrten sich Hochzeitsgäste auf die Treppe, die hinauf zu den Mietzimmern führte, und einmal geriet sogar einer ins Bad, wo er in der Duschkabine einschlief, am Morgen steckte Pani Stenia die Hand zwischen den Vorhang, drehte den Hahn auf, stieg in die Dusche – und dann hat sie vielleicht geschrien: Was machst du hier, du betrunkenes Schwein, hau ab, ich hol die Miliz, den Priester hol ich! Pani Stenia geht auf die meisten Hochzeitsfeste, wo sie sich hauptsächlich für das kalte Buffet interessiert, zusammen mit anderen älteren Damen holt sie Stühle herbei, und die Damen setzen sich ans Buffet und greifen zu, denn im Stehen kann man ja nicht essen. Die Damen sind sich einig, dass es sehr ungesund ist, im Stehen zu schlucken, denn dann geht es zu schnell in den Magen, und außerdem kann man sich bekleckern. Sie plaudern über die Familien der Brautleute, in jeder gibt es einen Leckerbissen herauszupicken, der pikanter ist als das Hochzeitsbigos nach Mitternacht. Dem einen zum Beispiel ist das ganze Haus abgebrannt, und ihm ist nichts geblieben, der Enkel eines anderen lebt mit einer Chinesin oder Japanerin, die von ihm schwanger ist. Die Kinder solcher Mischpaare nennen die alten Damen Mixer. Was für ein Mixer wird dabei wohl rauskommen?, überlegen sie. Was wohl, witzelt Pani Stenia: Madeinchina. Sie spricht es aus, wie man es schreibt, und nicht mejdintscheina, denn sie sind ja unter sich, und ein Chinese versteht sowieso keine normale Sprache. Die alten Damen treffen sich seit Jahren auf solchen kirchlichen und auslandspolnischen Veranstaltungen, sie wissen, wo es das beste Essen gibt, und halten sich an die Regeln der ungeschriebenen Hierarchie, die befiehlt, Gruppen stets so zu bilden, dass die Habens- und Nichthabensverhältnisse in einer Gruppe ähnlich sind, und jeder Zuwachs und jede Schmälerung des Besitzstands bleiben minutiös im Gedächtnis eingeschrieben. Sie haben jahrelange Übung und können sich bei der Weihnachtsfeier im polnischen
Weitere Kostenlose Bücher