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Wolkengaenger

Titel: Wolkengaenger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alan Philps , John Lahutsky
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einschließlich Wika und ihrem Baby
     Stephen. Die halbe Nacht hatte sie daran gesessen, und war so vertieft gewesen, dass sie sogar vergessen hatte, die Sachen,
     die noch an ihrer Garderobe |255| hingen, einzupacken. Zum Glück hatte eine Nachbarin die Kleidungsstücke dort hängen sehen, einen Koffer geholt und gerade
     noch alles hineingestopft, bevor der Wagen eintraf, der sie zum Flughafen bringen sollte.
    »Es war der denkbar schlechteste Zeitpunkt, um Moskau zu verlassen«, erinnert sich Sarah. »Wanja hing vollkommen in der Luft.
     Doch ich hatte auf den Zeitpunkt unserer Abreise keinerlei Einfluss. Ich mag mich in den vergangenen vier Jahren für eine
     Wohltätigkeitsarbeiterin gehalten haben, doch in Wirklichkeit war ich eine Ehefrau, die ihren Ehemann begleitete – Visum und
     Unterkunft erhielt ich von Alans Arbeitgeber. Ich konnte nicht länger bleiben.«
    Bei Sarahs Ankunft saß Wanja im Garten auf einer Bank; er sah niedlich aus mit seinen dichten braunen Locken, die ihm das
     Personal inzwischen hatte wachsen lassen. Er trug Catherines abgelegte Jeanshose. Er war zum Prinzen des Babyhauses geworden
     – ein Prinz, der von heute auf morgen seines königlichen Schicksals beraubt worden war. Er war ganz vernarrt in das Album.
     Sarah hatte sogar Bilder von Andrej eingeklebt, wie er in Florida vor einem Weihnachtsbaum stand, vom Büro des
Telegraph
und von ihrem Hund.
    Sie sprachen ausführlich über jedes einzelne Bild, beide in dem Bewusstsein, dass mit Erreichen der letzten Seite auch das
     Ende ihres Besuchs erreicht sein würde. »Ich versicherte ihm gerade, dass Wika ihn wieder besuchen würde, sobald Stephen alt
     genug war, um bei jemand anderem zu bleiben – niemandem wurde gestattet, einen Säugling mit ins Babyhaus zu bringen –, als
     ich aufblickte und ein Pärchen mit einem Baby auf dem Arm aus dem Haus kommen sah. Die beiden waren eindeutig keine Russen.
     Man bekam nur selten fremde Gesichter im Babyhaus 10 zu sehen, und Wanja und ich starrten die beiden ungeniert an. Der Mann
     zückte eine Kamera und forderte seine Frau auf, mit dem Baby auf der Veranda zu posieren. Sie sprachen Englisch miteinander,
     und mit etwas Anstrengung hörte ich, dass sie Amerikaner waren. Mir wurde klar, dass sie gerade ein Kind adoptiert hatten.«
    |256| Es war tatsächlich jemandem gelungen, ein Kind aus dem Babyhaus 10 zu adoptieren. Die einzige Adoption, von der Sarah wusste,
     war die von Andrej. Die größte amerikanische Adoptionsagentur in Moskau hatte ihre Versuche, mit Adela zu arbeiten, nach kurzer
     Zeit wieder aufgegeben. Wie es schien, war ihrer exzentrischen Art niemand gewachsen. Die beiden auf der Veranda wirkten nicht
     wie das typische Adoptivelternpaar; sie strahlten weder Reichtum und eine privilegierte Stellung aus, noch hatten sie perfekte
     Zähne oder trugen Designerkleidung. Sie machten nicht den Eindruck, als ob sie die übliche Gebühr von 30000 Dollar entbehren
     konnten. Doch es war unmöglich zu übersehen, welch unbändiges Glück sie beim Anblick ihrer neuen Tochter empfanden, die mit
     ihrer fleckigen Haut und den ungewaschenen Haaren ein typisches Babyhaus-Geschöpf war.
    »Entschuldigen Sie bitte«, sagte Sarah. »Habe Sie gerade dieses kleine Mädchen adoptiert?«
    »Ja. Ist sie nicht hinreißend?«
    Freudestrahlend erzählten sie ihr, dass die Adoption über einen Mann von der russisch-orthodoxen Kirche abgewickelt worden
     war, der Beziehungen zu ihrer Kirche in den USA pflegte. Sarahs erster Gedanke war: Warum hat Adela diesen Mann nie erwähnt?
     Und warum hatte sie ihn nach Lindas Rückzieher nicht herangezogen, um neue Eltern für Wanja zu suchen?
    Sarah stellte dem freundlichen Paar Wanja vor. Seine Geschichte ging den beiden sehr nahe, daher machte es ihnen nichts aus,
     den ungeduldigen Fahrer warten zu lassen, der ihnen bereits die Autotür aufhielt und das Zeichen zum Einsteigen gab. »Als
     ich ihre mitfühlenden Blicke sah, sprudelte Wanjas ganze Geschichte aus mir heraus. Ich erzählte ihnen von der Irrenanstalt,
     in die Wanja gesperrt worden war; davon, wie es ihm gelungen war, sich seine Menschlichkeit zu bewahren und einen Hilferuf
     nach draußen zu schicken; wie er vollkommen abgemagert ins Babyhaus zurückgekehrt war; und wie eine Frau aus Großbritannien
     nach dem Erscheinen eines |257| Zeitungsartikels versprochen hatte, ihn zu retten und ihm ein neues Leben zu schenken, ihn dann jedoch auf grausame Weise
     im Stich gelassen hatte. Nun drohte

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