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Wolkengaenger

Titel: Wolkengaenger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alan Philps , John Lahutsky
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länger Teil der isolierten Welt des
     Babyhauses und des trostlosen Daseins seiner Bewohner zu sein. Jetzt, da er über die hohen Mauern blicken konnte, stand er
     im Herzen des neuen Moskaus – und inmitten des Lärms, den der Bau der eleganten Mehrfamilienhäuser rings um das Babyhaus unweigerlich
     mit sich brachte.
    »Halt dich gut fest«, rief Alan ihm zu. »Nicht loslassen.«
    Wanja löste eine Hand von der Metallstange und hielt sie theatralisch nach oben. »Meinst du so?«, neckte er Alan und tat so,
     als geriete er ins Schwanken.
    In diesem Moment wurde Sarah und Alan klar, dass Wanja auf dem besten Wege war, von einem traumatisierten Heimzögling zu einem
     ganz normalen Kind zu werden. Das zweiwöchige Familienleben, an dem er während Lindas Besuchs hatte teilnehmen dürfen, war
     nicht spurlos an ihm vorübergegangen. Nachdem er die Ungezogenheiten ihrer Tochter Catherine mit angesehen hatte, erschloss
     sich ihm nun ein neues Rollenmodell.
    Die Welt des Babyhauses war inzwischen noch bizarrer geworden, als sie es bei Sarahs erstem Besuch vier Jahre zuvor gewesen
     war. Der ansonsten bis auf Zweige, Blätter und Katzenkot für gewöhnlich leere Sandkasten war nun unter einem gigantischen
     Berg Sand begraben, nachdem ein Laster seine gesamte Ladung darüber ausgekippt hatte. Die einst vornehme, nun heruntergekommene
     Fassade des Hauses wurde weiter verunstaltet durch Kohlenstapel, die aus dem Lager mit dem Heizmaterial quollen. Nirgends
     in dieser Stadt, in der fast alle Heizungen mit Gas betrieben wurden, fand sich sonst noch ein Stück Kohle, doch Adelas Reich
     war in einer längst vergangenen Zeit stehengeblieben. Sarah musste an ihre erste Begegnung mit Adela denken, als diese rußverschmiert
     davon berichtet hatte, dass der Heizkessel gerade kaputtgegangen war.
    |249| Plötzlich wurde sie von einer lauten flehenden Stimme in die Gegenwart zurückgeholt.
    »Wartet in England noch mein Bett auf mich?«
    »Das besprechen wir später, Wanja.« Sarah wusste nicht, was sie ihm sonst antworten sollte.
    Sekunden später hatte man das Gefühl, als wäre diese Frage, die aus dem tiefsten Inneren dieses verlassenen Kindes rührte,
     nie gestellt worden. »Achtung, ich springe«, schrie er und glitt unbeholfen zu Boden, glücklicherweise ohne sich wehzutun.
     Als er sich mit einem Bein in den Sprossen verhedderte und den lustigen Winkel bemerkte, in dem sein Bein nun abstand, rief
     er: »Schaut mal, ich habe einen Schwanz.« Sein Bein sah tatsächlich aus wie ein Hundeschwanz.
    Sarah befreite ihn aus der Leiter, und Wanja sorgte für die nächste Überraschung: »Wo ist denn Nellie? Wartet sie auf mich?«
    Sarah und Alan hatten diese Art Fragen befürchtet. Da Linda sich ihm entzogen hatte, verlagerte er seinen Fokus nun auf sie
     beide, und mit Fragen wie dieser gab er ihnen zu verstehen, dass er zurück in ihre Wohnung wollte. Sie hatten sich stets bemüht,
     ihm nicht das Gefühl zu vermitteln, potentielle Adoptiveltern für ihn zu sein. Das Leben eines Auslandskorrespondenten war
     unbeständig. Die ständigen Umzüge von einem Kontinent zum anderen waren schwierig genug mit zwei Kindern. Mit einem dritten
     Kind wäre das unmöglich, insbesondere mit einem Kind, das nach all den verheerenden Erfahrungen nichts mehr brauchte als Stabilität
     im Leben.
    Mit Erlaubnis der Wachmänner verließen sie das Gelände und liefen durch das Tor zum Auto.
    Die Botschaft hinter Wanjas Fragen war unmissverständlich: Er wollte, dass sein Leben eine ganz bestimmte Richtung nahm. Dieses
     Kind, das sich einst über jeden noch so kleinen Dialog gefreut hatte, den man mit ihm führte, versuchte nun in seiner Not,
     sie zu manipulieren. Als sie im Auto saßen, bat er Alan, zu wenden, so dass er das Babyhaus nicht anschauen musste – einen
     Ort, den er nun als ein Gefängnis empfand.
    |250| Die folgenden zehn Minuten verbrachte er fröhlich auf Alans Schoß auf dem Fahrersitz und widmete sich voll und ganz den Armaturen.
     Als er das Radio anschaltete, bemerkte er beiläufig: »Die singen Englisch.« Dann fragte er: »Wem gehört das Auto?«
    »Es gehört Sarah.«
    »Es gehört uns«, sagte Wanja entschlossen. Sie hatten ihn noch nie das Wort »uns« sagen hören. Er hatte keine Besitztümer
     und fühlte sich auch nicht als Teil seiner Gruppe oder als Teil des Babyhauses. Mit dem Gebrauch dieses einen Wortes gelangten
     Sarah und Alan zu der Erkenntnis, dass er sich ihre Familie und das Büro des
Daily

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