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Wolkengaenger

Titel: Wolkengaenger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alan Philps , John Lahutsky
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gesamtes bisheriges
     Leben verbracht hatte. Alexej parkte halb auf dem Bürgersteig, und Paula hielt Ausschau |294| nach dem Mann, der sie zu ihrem Sohn führen würde. Doch sie konnte nur eine einzige Person entdecken, einen Mann in dunklem
     Anzug und weißem Hemd und mit einem Aktenkoffer in der Hand. Er trug die Haare kurz, war glattrasiert und wirkte damit weniger
     wie ein Mann der Kirche als vielmehr wie ein Geschäftsmann. Doch während Paula und Alexej aus dem Wagen stiegen, kam der Mann
     auf sie zugelaufen, und nach einer flüchtigen Begrüßung murmelte er: »Ich gehe hinein. Warten Sie hier auf mich.«
    Angenehm überrascht stellte Paula fest, wie hübsch die Häuser ringsum waren. Dort stand ein elegantes neues Bankgebäude und
     ganz in der Nähe eine Kirche. Von Kindern jedoch fehlte jede Spur. Der Ort wirkte wie ausgestorben. Die Minuten verstrichen,
     und Paula begann, nervös zu werden. Sie fragte Alexej, ob er wisse, was dort drinnen vor sich ging. Doch der verneinte.
    Voller Ungeduld, den Jungen, den sie bereits als ihren Sohn betrachtete, durch die Tür treten zu sehen, ließ sie den Eingang
     nicht mehr aus den Augen. Doch als die Tür schließlich aufging, war der Mann noch immer allein.
    »Sie müssen mit reinkommen.«
    Paula nahm eine Tasche mit Geschenken vom Rücksitz, die sie für die Kinder gekauft hatte, und zusammen mit Alexej folgte sie
     dem Mann in das Gebäude. Wieder fragte sie sich: Wo sind die Kinder? Irgendetwas stimmte hier nicht. Sie wurden in ein Büro
     geführt, in dem sich Bücher und Akten stapelten. Der Mann stellte sie einer dünnen, blassen, jungen Frau vor.
    »Paula, das ist Maria. Sie wird Ihnen alles erklären.«
    Leise, aber bestimmt und in perfektem Englisch erklärte Maria, dass sich Wanja nicht in diesem Gebäude befände, sondern bei
     seiner Pflegemutter, 1600 Kilometer südlich von hier.
    »Pflegemutter! Was für eine Pflegemutter?«, platzte Paula heraus. Sie verstand noch immer nicht, was hier vor sich ging. Sie
     sah sich in dem Büro um, und plötzlich ging es ihr auf. »Das hier ist gar nicht das Babyhaus 10, oder?«
    |295| Auf Marias blassem Gesicht zeigte sich ein Lächeln. »Nein, das hier ist kein Babyhaus. Sie sind im Haus des Our-Family-Pflegeelternprojekts.
     Wanja hat das Babyhaus vor einem Jahr verlassen. Er lebt bei einer meiner Pflegemütter.«
    Paula war wie vor den Kopf geschlagen. Sie wandte sich an den Kirchenvertreter: »Warum haben Sie mir nie etwas von der Pflegemutter
     erzählt? Oder davon, dass er gar nicht mehr im Babyhaus ist?«
    Der Mann war sich keiner Schuld bewusst. »Ich wollte Sie nicht mit Details belästigen.«
    »Und jetzt stellt sich heraus, dass er nicht einmal in Moskau ist!«
    Er zuckte mit den Schultern; Paulas wachsender Kummer war ihm offenbar egal. »Was ist mit der Anhörung? Sie ist übermorgen.
     Was machen wir damit?«
    Der Mann erklärte, dass alles seinen gewohnten Gang gehen würde. »Wir können den Termin nicht verschieben. Die Anhörung muss
     stattfinden. Wir werden schon eine Lösung finden.«
    Verständnislos starrte Paula den Mann an, der sich derart gleichgültig verhielt.
    Nun schaltete sich Maria ein. »Machen Sie sich keine Sorgen, Paula. Ich werde runterfliegen und Wanja holen. Bis zur Anhörung
     wird er allerdings nicht zurück sein. Aber das macht nichts, er muss nicht vor Gericht erscheinen.«
    Irgendetwas sagte Paula, dass sie dieser jungen Frau vertrauen konnte. Doch das änderte nichts daran, dass sie enttäuscht
     war wie nie zuvor in ihrem Leben. Zurück im Auto, brach sie in Tränen aus. Neun Monate lang Hoffen und Bangen, der nicht enden
     wollende Papierkram, die Neuorganisation ihres Lebens, die lange Reise durch acht Zeitzonen – und nun war er nicht da. Sie
     hatte sich so gewünscht, Wanja an diesem Tag kennenzulernen. Sie fühlte sich wie eine Mutter, die das Krankenhaus nach der
     Geburt mit leeren Armen verlassen muss.
    Ohne die Unterstützung von Alexej und seiner Frau hätte |296| Paula die folgenden sechsunddreißig Stunden wohl nicht durchgestanden. Sie verschaffte sich Ablenkung, indem sie mit deren
     Baby spielte, in die Kirche ging und in Erinnerungen über ihre gemeinsame Zeit in Amerika schwelgte. Doch von Zeit zu Zeit
     gewann ihre Angst die Oberhand. Was sollte sie nur dem Richter sagen?
    In der Nacht vor der Anhörung tat sie kaum ein Auge zu. Sie stellte sich vor, wie sie dem Richter erklären würde, dass sie
     Wanja drei Mal getroffen und eine Beziehung zu ihm

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