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Wolkengaenger

Titel: Wolkengaenger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alan Philps , John Lahutsky
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sichtlich betroffen.
    Er lehnte sich an sie, und sie umarmten sich. Danach bedurfte es keiner Übersetzung mehr. »In diesem Moment, als ich miterleben
     durfte, wie Wanja seine neue Mutter annahm und Vertrauen zu ihr fasste, hätte ich am liebsten vor Freude geweint«, erinnert
     sich Irina.
    Was Wanja nun brauchte, war ein ruhiger, gemütlicher Ort, an dem er und seine Mutter sich besser kennenlernen konnten. Doch
     der Kirchenvertreter hatte etwas anderes geplant. Er war zu einem Festessen in die Kirche des Erzengels Michael in Moskau
     geladen, und ohne große Erklärung nahm er seine Passagiere einfach dorthin mit. So verbrachten Paula und Wanja die entscheidenden
     ersten Stunden ihres gemeinsamen Lebens bei einem Mittagessen mit kirchlichen Würdenträgern. Paula konnte den Grund dafür
     nur vermuten: Auf diese Weise sparte sich der Mann die Kosten für ein Mittagessen.
    Die Kirche des Erzengels Michael war nicht irgendeine Kirche. Sie war eine der bekanntesten Kirchen in ganz Russland, da sie
     in dem allseits beliebten Film
Ironie des Schicksals
vorgekommen war, in dem der Regisseur Eldar Rjasanow einen |302| kühnen Vergleich zwischen ihrer zeitlosen Schönheit und der trostlosen Monotonie des sowjetischen Lebens wagte. Selbst für
     nichtreligiöse Menschen war die Kirche mit ihren fünf goldenen Kuppeln und der leuchtend roten Fassade ein Symbol der Hoffnung.
    Die Gäste wurden zu einem Tisch mit gutem Blick auf die schmausenden Geistlichen geführt. Den Frauen wurde je ein Glas georgischer
     Wein gebracht, Wanja erhielt ein Glas Wasser. Kurz darauf begannen die in Russland üblichen Trinksprüche, und ein Geistlicher
     nach dem anderen erhob sich und sein Glas Wodka auf die Gesundheit aller Anwesenden. Wanja folgte diesem Ritual derart fasziniert,
     dass das Trauma der vergangenen vierundzwanzig Stunden kurzzeitig in den Hintergrund rückte. Statt sich seinem mit Essen beladenem
     Teller zu widmen, starrte er gebannt den prächtig gekleideten Bischof am Tisch zu seiner Rechten an und beobachtete, wie dieser
     aufstand, einen blumigen Toast ausbrachte, ein Gläschen Wodka hinunterkippte und sich dann wieder setzte. Wanja war der festen
     Überzeugung, dass nun er an der Reihe war, einen Toast im Namen seines Tisches auszubringen. Er nahm sein Glas in die eine
     Hand und drückte sich in dem Versuch, aufzustehen, mit der anderen vom Tisch ab. Gerade noch rechtzeitig erkannte Paula, was
     er vorhatte. Dieser kleine Junge war unbeschreiblich flink, wenn es darum ging, sich seiner Umgebung anzupassen. Liebevoll
     legte sie ihm eine Hand auf die Schulter und sagte: »Dafür wirst du noch genug Zeit haben, wenn du älter bist.«

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    |303| 28.
WIEDER VEREINT
    März 2007
    Bis zu diesem Punkt wurde Wanjas ungewöhnliche Geschichte von jenen Menschen erzählt, die in den 1990er Jahren Freundschaft
     mit ihm schlossen – Wika und Sarah – und von Wanja selbst. Meine Aufgabe als Autor war es, aus ihren Einzelgeschichten eine
     Erzählung zu machen. Doch diese endete nicht, als Wanja in das Flugzeug nach Amerika einstieg. Es wird Zeit, mein Schattendasein
     zu beenden und ein wenig Detektiv zu spielen, um Details aus Wanjas Vergangenheit in Erfahrung zu bringen, die selbst seine
     engsten Weggefährten nicht kannten.
    Ich hatte mich stets gefragt, was dieses außergewöhnliche Kind durchlebt hatte, das sich nackt und entkräftet seiner Vernichtung
     durch das grausame russische Fürsorgesystem widersetzt und auf das Leben so vieler Menschen Einfluss genommen hatte. Anfang
     2007, am Ende meiner langen Journalistenkarriere, bot sich mir unvermutet die Gelegenheit, mehr über Wanjas Schicksal zu erfahren.
     Es war Zeit für ein Wiedersehen in Amerika.
    Und so kam es, dass Sarah und ich im März 2007 vor einem einstöckigen, in eine dicke Schneedecke gehüllten Haus in Bethlehem,
     Pennsylvania hielten.
    In der Tür stand, auf zwei Gehhilfen gestützt, ein junger Mann mit blendend weißen Zähnen und recht kurz geschorenen Haaren.
     Sarah konnte nicht anders, als ihn auf die gleiche Art zu begrüßen, wie sie es vor all den Jahren bei ihren Besuchen im Babyhaus
     10 getan hatte: Die Worte
»Priwet Wanja«
entschlüpften ihr, als sei es das Normalste von der Welt. Der |304| junge Mann sah sie irritiert an. Seit acht Jahren hatte ihn niemand mehr auf Russisch begrüßt oder Wanja genannt. Er hieß
     nun John Lahutsky, ging auf die Highschool und war Juniorleiter seiner Pfadfindergruppe.
    Seine Mutter, Paula,

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