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Wolkengaenger

Titel: Wolkengaenger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alan Philps , John Lahutsky
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sich etwa ein Dutzend Kinder in dem Raum befanden, von denen sich keines bewegte.
     »Sie können nur liegen. Sie sind alle sehr krank«, sagte die Defektologin.
    |40| In einem Laufstall lag regungslos ein kleines blondes Mädchen.
    »So eine Süße. Wie alt ist sie?«, fragte Sarah. Sie schätzte die Kleine auf etwa ein Jahr.
    Die Defektologin wandte sich um und gab die Frage an die Betreuerin weiter, die in einer Namensliste an der Wand nachschaute
     und dann sagte: »Iwanowa – sie ist vier. Ihr zentrales Nervensystem ist geschädigt.«
    »Aber sie verfolgt uns mit den Augen.«
    »Das ist nur ein Reflex. Es hat nichts zu bedeuten«, beharrte die Defektologin.
    Neben dem Laufstall standen aufgereiht drei Gehfreie mit jeweils einem Kind darin. Die Gestelle waren mit einem Stück Stoff
     an den Laufstall gebunden und wirkten wie Rennautos, die sich nebeneinander an der Startlinie postiert hatten – doch diese
     drei würden nirgendwohin aufbrechen. Die Köpfe der Kinder waren in den Nacken gekippt, was darauf schließen ließ, dass sie
     seit Stunden so dasaßen.
    Auf der Fensterbank saß ein kleines Mädchen in einer Babywippe, doch sie war offenkundig zu schwach, um zu wippen. Mit großen,
     glasigen Augen starrte sie unter langen Wimpern hervor. »Das ist Kowaltschuk. Sie hat Herzprobleme.«
    »Hat sie denn keinen Vornamen?«, fragte Sarah und streckte die Hand aus, um dem Mädchen über die Wange zu streicheln, das
     daraufhin zurückschreckte und den Kopf wegdrehte.
    »Bei ihr ist da oben nichts drin«, sagte die Betreuerin und tippte sich an die Schläfe. »Ihre Mutter hat sie direkt nach der
     Geburt weggegeben.«
    In einem anderen Laufstall krabbelte ein Junge mit einem Plastikstecken in der Hand herum, an dessen Ende ein kleines Rad
     befestigt war.
    »Wer ist das?«, fragte Sarah.
    Die Betreuerin studierte wieder die Liste an der Wand.
    »Das ist Simonow. Er ist blind.«
    Blind bedeutet nicht zurückgeblieben, dachte Sarah. Und warum nennen sie die Kinder nicht beim Vornamen? Sarah |41| war kurz davor, ihre Gedanken laut zu äußern, doch Louisas finsterer Blick belehrte sie eines Besseren.
    In dem Laufstall lag ein Spiegel mit einem harten Holzrahmen. Wozu brauchte ein blindes Kind einen Spiegel? Und was hatte
     etwas so Gefährliches in einem Laufstall zu suchen? Dieser ganze Raum war absurd: ein Spiegel für einen blinden Jungen, festgebundene
     Gehfreie, die es den Kindern unmöglich machten, laufen zu lernen, Babywippen, die nicht wippten, Säuglinge, die Angst hatten,
     berührt zu werden, Vierjährige, die so klein waren wie Einjährige.
    Sarah hatte große Mühe, weiterhin nichts zu alldem zu sagen. Sie spürte Wut in sich aufsteigen. Trotz Louisas warnender Blicke
     wollte sie diese Frauen anschreien. Warum liegen diese Kinder hier nur herum? Warum beschäftigt sich niemand mit ihnen? Wie
     kommen Sie darauf, dass sie nicht genau das Gleiche brauchen, was alle Kinder brauchen? Haben Sie denn keine eigenen Kinder?
    Sarah ignorierte Louisas immer finsterer werdenden Blick und überlegte gerade noch fieberhaft, wie sie all das am besten auf
     Russisch formulieren konnte, als ein blonder Junge in einem Laufstall anfing, mit dem Kopf gegen die Gitterstäbe zu schlagen.
     Sarah spürte die Hand der Defektologin auf ihrem Rücken, die sie in Richtung Tür schob. In diesem Moment hörte sie eine Stimme
     sagen: »Bitte komm wieder.«
    Überrascht, in diesem stillen Raum ein Kind sprechen zu hören, drehte Sarah sich um. Woher kam die Stimme? Sie schaute nach
     links unten und entdeckte einen kleinen Tisch neben der Tür, an dem zwei etwa dreijährige Jungen saßen. Sie ignorierte den
     bösen Blick der Defektologin und ging in die Hocke. »Hallo, ihr beiden. Ich habe euch gar nicht gesehen.« Der Junge meldete
     sich wieder zu Wort: »Schau mal, wir haben heute ein Spielzeug gekriegt.«
    Vor ihm lag ein Plastikspielzeug mit vier großen Knöpfen. Drückte man auf einen von ihnen, schoss ein Tier nach oben – das
     passende Spiel für ein Kind von etwa sechs Monaten, aber nicht mehr für eines von drei Jahren.
    |42| Sarah kramte in ihrer Tasche und fand ein kleines Metallauto. »Das passt viel besser zu einem Jungen in deinem Alter.«
    Der kleine Junge wurde ganz aufgeregt, als sie es vor ihm auf dem Tisch hin- und herrollen ließ, und brannte darauf, es selbst
     herumfahren zu lassen. Beide Jungen trugen Jeans und saßen an ihrem Tisch wie kleine alte Männer. Sarah sah, dass sie in viel
     zu kleinen

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