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Wolkengaenger

Titel: Wolkengaenger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alan Philps , John Lahutsky
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war irgendetwas im Gange. Wie immer hatte Nastja die anderen Kinder nach dem Essen in ihre Betten
     gebracht; nur Wanja hatte sie auf seinem Stuhl sitzen lassen. Nun versuchte er zu verstehen, warum man ihn für draußen fertig
     machte. Keine der Ärztinnen war am Morgen vorbeigekommen, um Nastja zu sagen, dass er ins Krankenhaus müsse. Ein Besuch im
     Krankenhaus war der einzige Grund, warum die Kinder in Wanjas Gruppe je das Zimmer verließen, außer natürlich, wenn Wika kam
     und ihn mit nach draußen nahm, wie sie es in der letzten Zeit öfter getan hatte.
    Gerade zog ihm Nastja seine Hausschuhe aus und versuchte, seine Füße in viel zu kleine Stiefel zu zwängen. Obwohl an beiden
     Schuhen der Reißverschluss kaputt war, brachte sie seine Füße nicht hinein. Sie fluchte leise, während sie an den Stiefeln
     herumzerrte. Als sich seine Zehen schließlich vollkommen verkrampft hatten, zuckte sie mit den Schultern und gab auf.
    Sein demütigendes Outfit krönte sie mit einer rosa Wollmütze aus Synthetikfaser, die sie ihm auf den Kopf setzte.
    »Ich bin doch kein Mädchen!«, protestierte Wanja. Doch Nastja ignorierte ihn, ließ ihn komplett angezogen auf seinem Stuhl
     sitzen und ging weg.
    »Du rührst dich nicht von der Stelle. Ich bin gleich wieder da.«
    |73| Wie soll ich mich denn in diesen Stiefeln und der schweren Jacke bewegen?, dachte Wanja. Ich käme vielleicht vom Stuhl runter,
     aber krabbeln könnte ich so ja auf keinen Fall.
    Während er darauf wartete, dass Nastja zurückkam, erinnerte er sich an das letzte Mal, als er fein gemacht worden war – nicht
     so ruppig wie von Nastja heute, sondern liebevoll von Tante Walentina. Er dachte an das schöne Hemd mit den goldenen Sternen
     auf den Schultern, das sie für ihn gemacht hatte. Und sie hatte ihn »mein kleiner Major« genannt. Nach dem Fest hatte sie
     ihn wieder umgezogen, seine neuen Kleider sorgfältig zusammengelegt und in ihrer Tasche verschwinden lassen. Es war ein schlimmer
     Anblick gewesen. Doch sie wussten beide, dass die Kleider in kürzester Zeit verschwunden gewesen wären, wenn Walentina sie
     im Babyhaus gelassen hätte.
    Andrej rief vom angrenzenden Gemeinschaftsschlafraum aus seinen Namen und riss ihn aus seinem Tagtraum. Die Tür stand offen,
     und als sich Wanja nach vorn lehnte, konnte er Andrejs Gesicht zwischen den Holzsprossen seines Gitterbetts aufblitzen sehen.
    »Andrej«, rief er. »Sie hat mir einen Mantel, Stiefel und eine Mütze angezogen. Ich glaube, ich komme ins Krankenhaus. Vergiss
     nicht, an mich zu denken. Ich werde immer an dich denken.«
    Andrej fing an zu weinen.
    »Ich werde an dich denken, Andrej.«
    Die Tür flog auf, und Swetlana kam aufgeregt hereingestürmt. Wie immer hatte sie Zettel in der Hand. Wanja bemerkte, dass
     auch sie einen Mantel trug. Sie nahm Wanja hoch und sagte: »Wir müssen uns beeilen. Der Wagen wartet schon.«
    »Wohin gehen wir, Swetlana?«, fragte Wanja, als sie ihn die Treppe hinuntertrug.
    »Woher weißt du, wie ich heiße?«, fragte sie überrascht.
    »Ich habe gehört, wie dich die anderen Betreuerinnen so genannt haben.«
    »Oh, ja, genau. Du bist der, der sich alles merkt. Aber jetzt |74| sind deine Papiere da, und du kommst in ein Internat.« Sie seufzte.
    Da war es wieder, dieses Wort. Aber was bedeutete es? Kirill war auch in ein Internat gekommen und nie wieder zurückgekehrt.
    Als sie draußen waren, schlug Wanja Kälte ins Gesicht und ließ ihn beim ersten Einatmen nach Luft schnappen. Wie anders der
     Garten doch ausgesehen hatte, als er mit Wika hier gewesen war. Der Boden war mit etwas schmutzigem Weißem bedeckt. Das musste
     Schnee sein, dachte er sich. Wika hatte ihm erst gestern gesagt, sie könne ihn nicht mit nach draußen nehmen, da es kalt war
     und Schnee lag. Jetzt wusste er, was damit gemeint war: Schnee.
    Der Wolga stand vor dem Eingang. Swetlana trug Wanja um den Kombi herum zum Kofferraum und legte ihn auf eine Trage. »Darf
     ich auf deinem Schoß sitzen, Swetlana?«, bettelte Wanja.
    »Nein. Das ist gegen die Vorschriften«, sagte der Fahrer und schlug die Hecktür zu. Das Auto fuhr los. Nach kurzer Zeit bremste
     es ab, dann fuhr es wieder an, bremste ab, fuhr wieder an. Wanja konnte noch andere Motoren hören. Das müssen andere Krankenwagen
     sein, die Kinder ins Krankenhaus bringen, dachte er. In seiner Vorstellung waren auf der Straße nur Kinder unterwegs. Er war
     nie zuvor in etwas anderem als diesem Behelfskrankenwagen gefahren, von

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