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Wolkengaenger

Titel: Wolkengaenger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alan Philps , John Lahutsky
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kassieren und eine »goldene Kartei« mit Kindern zu führen, die sie an
     den jeweils Höchstbietenden verkauften. Sich selbst sah Grigori als den Vorkämpfer jener einfachen, kinderlosen russischen
     Paare, die ein Kind adoptieren wollten, jedoch von reichen Ausländern überboten wurden.
    Grigori mag, was die verbotenen Zahlungen anbetraf, recht gehabt haben. Doch er verkannte vollkommen das Kräfteverhältnis
     zwischen sich und der Regierung, als er diese schlafenden Hunde weckte. Die aufgebrachten und auf Rache sinnenden Bürokraten
     schossen augenblicklich zurück und erhoben ihrerseits jede Menge Anschuldigungen.
    Rückblickend betrachtet, hätte Grigori Wanjas Fall an dieser Stelle entzogen werden sollen. Doch wer hätte Wanjas Adoption
     übernehmen sollen, noch dazu zu einem Preis, den Linda hätte bezahlen können? Sarah und Alan wussten niemanden.
     
    Es war bereits März, als ein Kurier einen Umschlag bei Sarah abgab, der für Grigori bestimmt war. Sein Inhalt war derart kostbar,
     dass Sarah sich beinahe nicht traute, ihn zu öffnen. Sie setzte sich an den Esstisch, entfernte vorsichtig die Plastikverpackung |205| des Kurierdienstes und zog ein dickes Bündel Dokumente hervor, das mit einer roten Schnur zusammengebunden war. Jedes einzelne
     der achtzig Dokumente trug ein scharlachrotes Dienstsiegel. Sarah hatte nie zuvor etwas Vergleichbares gesehen. Das Bündel
     schien aus Charles Dickens’
Bleak House
zu stammen. Behutsam blätterte sie eine Seite nach der anderen um. Jedes Dokument war einzeln abgestempelt und unterschrieben.
     Die Echtheit aller Stempel und Unterschriften wurde durch eine Apostille bestätigt, die den Stempel des britischen Außenministeriums
     mit Löwe und Einhorn trug und 62 Pfund gekostet hatte. Sarah hatte große Lust, mit dem Bündel ins Babyhaus zu marschieren
     und Adela all die Siegel und Stempel unter die Nase zu halten. War das nicht Beweis genug, dass sie sich um Wanjas Adoption
     kümmerte? Doch der Umschlag musste natürlich umgehend an Grigori weitergeleitet werden.
    Danach verging eine ganze Woche, bis Grigori wieder von sich hören ließ. Sarahs Vertrauen in die britischen Behörden war derart
     groß, dass sie gar nicht weiter über das Dossier nachgedacht hatte. Daher war sie regelrecht schockiert, als Grigori sie anrief
     und ihr mitteilte, dass er gerade aus dem Ministerium käme. Es gäbe Probleme. Sarah bat ihn, so schnell wie möglich bei ihr
     vorbeizukommen.
    Das erste, worum Grigori bat, war eine Schere. Entsetzt sah Sarah mit an, wie er die rote Schnur, mit der das Dossier zusammengebunden
     war, zwischen die Klingen legte.
    »Das können Sie nicht tun, Grigori!«, rief Sarah. »Das sind offizielle Dokumente.«
    »Es muss sein«, sagte er nur. Mit einem Schnipp war die Schnur durchtrennt.
    Grigori erklärte, dass sich die Frauen im Ministerium geweigert hätten, das Dossier anzunehmen, da die Dokumente zusammengebunden
     waren. Er hatte versucht, mit ihnen zu reden, doch sie bestanden darauf, dass die Dokumente einzeln vorgelegt werden mussten,
     jedes notariell beglaubigt und mit einer Apostille versehen.
    |206| »Das würde Linda die Hälfte all dessen kosten, was sie gesammelt hat. Jede Apostille kostet 62 Pfund, wie Sie wissen.« Die
     rote Schnur, die Wanjas Ariadnefaden aus dem Labyrinth des russischen Fürsorgesystems hätte sein sollen, lag zerschnitten
     auf dem Boden.
    »Aber das ist noch nicht alles«, fuhr der Anwalt fort. »Sie behaupten, es läge noch ein weiterer Formfehler vor. Sie müssen
     Linda sagen, dass der Notar die Schnurenden exakt unter das Siegel stecken muss. Lose Enden werden nicht akzeptiert.«
    »Das soll wohl ein Witz sein, Grigori. Sind Sie sicher, dass diese Frauen kein Spiel mit Ihnen treiben?« Sarah erinnerte sich
     an ein Gutachten über eine adoptionswillige amerikanische Freundin. Es hatte aus gerade einmal einer halben Seite Text bestanden
     und den Sozialarbeiter zweifellos nicht mehr als einen Nachmittag gekostet. Wie konnten die russischen Behörden dieses einfache
     Schreiben akzeptieren und gleichzeitig ein Dossier ablehnen, das das Ergebnis achtmonatiger Untersuchungen war?
    Und es gab noch mehr Schwierigkeiten. Grigori sortierte die Dokumente auf zwei Stapel und bat um einen Papierkorb.
    »Die hier werden nicht benötigt. Sie können sie wegschmeißen«, verkündete er und reichte Sarah einen Stoß Papiere. Einige
     davon trugen wichtig aussehende Stempel. »Stattdessen wollen sie vier andere.« Er gab

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