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Wolkentöchter

Wolkentöchter

Titel: Wolkentöchter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Xinran
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wiegen, damit sie durch den Klang eures Herzschlags leichter einschläft«.
    Diese armen Frauen haben ihre Babys neun Monate lang im Bauch getragen, und sie abzugeben ist, als würden sie sich das eigene Fleisch herausschneiden. Sie können nicht mit ihren Töchtern schmusen, und sie haben keinerlei Vorstellung, wie die neuen Eltern sie behandeln. Sie leben immerzu mit der qualvollen Angst um ihre Töchter …
     
    Marys Stimme erstarb. Es fiel ihr zu schwer weiterzureden, und auch ich war in Gedanken versunken. Wie sehr diese Frauen litten, weil sie von ihren Kindern Abschied nehmen mussten. Ich vergaß, den Kassettenrekorder abzuschalten, und erst später, als ich das Gespräch niederschrieb, wurde mir klar, wie lange wir schweigend dort an jenem kleinen Restauranttisch gesessen hatten.
    Am Ende unseres Gesprächs nannte Mary mir zwei Namen, Na und eine weitere Mary, die ich Grüne Mary genannt habe. Sie sagte, dass Na zwischen Shanghai und den USA hin und her pendele, während die Grüne Mary eine hohe Beamtin in Beijing sei. Beide könnten mir mehr dazu sagen, warum Neugeborene ausgesetzt wurden. Außerdem bat sie mich, ihren Namen zu ändern, wenn ich das, was sie mir erzählt hatte, niederschrieb, ihr die Originalkassette zuzusenden und danach keinen Kontakt mehr zu ihr aufzunehmen. Ich erwiderte, dass viele der von mir interviewten Frauen dasselbe wollten, und versprach, ihren Wunsch zu respektieren. Doch ich wusste, dass ihre Geschichte und die der anderen Frauen darin mich nie wieder loslassen würden …
    Als wir uns verabschiedeten, sagte Mary zu mir: »Bitte veröffentlichen Sie das, was ich Ihnen erzählt habe, damit diese kleinen Mädchen es lesen können und ihre chinesischen Mütter nie vergessen.«
    Am 13 . Februar 2008 , während ich am ersten Entwurf dieses Kapitels arbeitete, fand in Australien eine feierliche Zeremonie statt. Im Namen der australischen Regierung entschuldigte sich Premierminister Kevin Rudd bei den Kindern der australischen Ureinwohner, die ihren Müttern weggenommen worden waren, um »erzogen« zu werden. Und in Darling Harbour, Sydney, steht die hundert Meter lange sogenannte Welcome Wall, in der die Namen zahlloser Immigranten eingraviert sind. Ich hatte das Gefühl, dass Zivilisation und Demokratie in Australien endlich den Weg zur Koexistenz vieler Rassen geebnet hatten. Das Einwanderungsland geht endlich ehrlich mit seiner Vergangenheit um und versucht jetzt einfühlsam Möglichkeiten zu schaffen, so dass Kinder zukünftig ungestört und gesund in den Armen ihre Mütter aufwachsen können.

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    7
    Von der Mutter, die noch immer in den USA wartet
    Ich kann diese Geschichte nicht selbst schreiben, und sie bedrückt mich schon seit Jahren.
     
    I ch habe nur sehr wenige chinesische Mütter kennengelernt, die auch nur eine Vorstellung davon hatten, wie Töchter in westlichen Familien erzogen werden. Die meisten dieser Mütter leben ein einsames Leben ohne die Möglichkeit, ihre Bürde mit jemandem zu teilen. Und jede Hoffnung seitens der Adoptivfamilien, ihre chinesischen Kinder mögen irgendwann Gelegenheit haben, ihren leiblichen Müttern dafür zu danken, dass sie sie am Leben erhielten, ist nahezu illusorisch. So weit, wie der Westen von möglichen Informationsquellen in China entfernt ist, und so rar, wie diese Quellen obendrein gesät sind, kommt die Suche nach der leiblichen Mutter eines Kindes der sprichwörtlichen Suche nach der Nadel im Heuhaufen gleich. Vor den 1990 er Jahren hatten die meisten einfachen Chinesen auf dem Land keinen Anspruch auf eine Geburtsurkunde oder eine vergleichbare Registrierung ihrer Person. Die Lage wird nicht nur dadurch erschwert, dass die chinesische Regierung kaum Informationen zu Adoptionen herausgibt, sondern auch dadurch, dass die verschiedenen Regionen unterschiedliche Verfahrensweisen haben und Adoptionen traditionell mit einem gewissen Gefühl der Scham einhergehen. Nach Ansicht der meisten Chinesen geht es niemanden etwas an, wenn sie ihre Kinder aussetzen oder zur Adoption geben oder sich scheiden lassen. Diese Dinge werden als Privatsache zwischen Eheleuten betrachtet, genauso wie ihr Sexualleben. Viele Paare erzählen ihren Kindern nicht mal, dass sie adoptiert sind. Eine kinderlose Familie ist eine Tragödie; ein Paar ohne Kinder hat versagt.
    Seit Menschengedenken wurden Babys in China ausgesetzt. Einfache Leute taten es in dem Glauben, sie wären es ihren Ahnen schuldig, ihnen einen Sohn und Erben als Erstgeborenen zu

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