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Wollust - Roman

Wollust - Roman

Titel: Wollust - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Faye Kellerman
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verprügelt werden. St. Luke sollte eigentlich eine katholische Privatschule sein, fungierte aber letzlich als Zwischenlager, bis die Jungs in die Firmen ihrer Väter weiterziehen konnten und die Mädchen schwanger wurden, heirateten und sich scheiden ließen – oh, Verzeihung, die Ehen annulliert wurden. Ein paar wirklich schlaue Kinder gab’s auch, die es bis an die Elite-Unis schafften, aber die meisten gingen an die State University in New York, vorausgesetzt, ihre grauen Zellen waren bis zu ihrem Abschluss noch nicht gänzlich in Alkohol oder Drogen eingelegt. So betrachtet war die neue Umgebung ganz okay. Niemand versuchte, sich mit ihm anzulegen, und er blieb für sich.

    Nach Englisch stand jüdische Geschichte auf dem Stundenplan. Da der Unterricht auf Englisch abgehalten wurde, sollte er teilnehmen und sehen, ob es ihm gefiel. Es ging ausschließlich um den Holocaust: eine Sache, die so unsagbar viel schlimmer war als seine Privatangelegenheiten. Sie erzählten etwas über das Warschauer Ghetto, wovon er noch nie gehört hatte.
    Amerikanische Geschichte blieb amerikanische Geschichte.
    Nach der Teilnahme am Matheunterricht war ihm klar, dass man hier Hirn mehr würdigte als Muskelmasse. Auf dem Gebiet konnte er mithalten, aber wozu der Aufwand? Er fand die Kids zwar ganz okay, aber sein ohnehin schon instabiles Leben war ein noch größeres Provisorium geworden, so dass der Versuch, sich hier zu integrieren, pure Zeitverschwendung war. Die Mädchen durchliefen das gesamte Spektrum von hässlich bis süß. Wenige Blondinen. Etwa die Hälfte der Brünetten hatte einen blassrosa Teint, der der anderen Hälfte war eher oliv, dazu schwarze Locken – der Mittelmeertyp. Das gefiel ihm, da er zusammen mit vielen Italienern aufgewachsen war. Die Mädchen musterten ihn verstohlen durch halb geschlossene Augen. Er war nicht interessiert, und selbst wenn, wozu der Aufwand? Das einzige rothaarige Mädchen weit und breit war Hannah.
    Er mochte Hannah. Sie verhielt sich in seiner Nähe ungezwungen, stellte keine Fragen, hatte einen beißenden Humor, und es herrschte zwischen ihnen absolut null sexuelle Anziehung. Sie war sofort eine Art große Schwester für ihn. Und es überraschte ihn, mit welcher Leichtigkeit sie sein Aufkreuzen akzeptiert hatte. Er wusste, dass er im umgekehrten Fall längst nicht so edelmütig gewesen wäre.
    Seine nächste Schulstunde war Bibelunterricht, und zwar auf Hebräisch, also war er entschuldigt. Er wollte irgendwohin gehen und zwölf Stunden durchschlafen, aber da er auf Hannah
und ihr Fortbewegungsmittel angewiesen war, blieb ihm nichts anderes übrig, als zu warten. Außerdem würde jemand vielleicht etwas sagen, wenn er zur Biologiestunde nicht erschien, und er wollte keine Schwierigkeiten provozieren.
    Während seiner Pausen hatte er jede Menge Tonleitern gespielt, aber das Instrument war verstimmt, was wiederum seinen Gehörsinn malträtierte. Es machte ihm nichts aus, ein falsch gestimmtes »My Heart Will Go On« in die Tasten zu hauen, aber Chopin hatte Besseres verdient. Da es echtes Spezialwissen war, ein Klavier zu stimmen, brach er es irgendwann ab.
    Auf der anderen Straßenseite gab es ein Café, und er konnte gut eine Tasse Kaffee gebrauchen. Eigentlich war es Zehntklässlern nicht erlaubt, das Schulgelände zu verlassen, aber die Aufseher trickste er mühelos aus. Innerhalb von Sekunden war er außer Sichtweite und in Freiheit – was immer das bedeutete.
    Er war erst ein paar Schritte gegangen, als er das Pfeifen hörte – ein sanftes Gleiten von der Note G zum hohen C. Es war immer der gleiche Pfiff – immer im gleichen Tempo, in der gleichen Länge und mit den gleichen Tönen.
    Gabes Gehör kam nicht von ungefähr.
    Er blieb stehen; es drehte sich ihm der Magen um, während sein Gehirn augenblicklich einen Filmriss hatte. Sinnlos, so zu tun, als hätte er nichts gehört – natürlich hatte er es gehört, weil er stehen geblieben war –, also musste er jetzt nur noch das richtige Auto auswählen, damit er nicht als Vollidiot abgestempelt wurde.
    Drei Autos waren am Straßenrand geparkt. Der Honda Accord kam nicht in Frage – zu gewöhnlich, zu kleiner Kofferraum. Der Jaguar war zu auffällig und hatte die falsche Farbe – er würde niemals ein taubenblaues Auto fahren. Der letzte Wagen war ein schwarzer Audi A 8, Baujahr 2008. Gutes Auto mit genug Ladefläche und, viel wichtiger, wahrscheinlich ausreichend
Platz vorne, um seine langen Beine und seine ein

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