Women of the Otherworld 02: Rückkehr der Wölfin
wiederholte die Vorstellung und sprang dabei hin und her, und schließlich begriff er. Er rieb sich noch einmal an mir; dann wandte er sich ab und galoppierte in nordwestlicher Richtung davon.
Ich dagegen wandte mich wieder nach Norden, bis ich den Mann vor mir hatte. Er pflügte durch knöcheltiefes Wasser und fluchte alle zwei Schritte. Ich ließ die Ohren spielen und hörte Clay durch den Schlamm laufen. Als er auf gleicher Höhe mit mir war, hielt er inne; die blauen Augen blinkten in der Dunkelheit. Ich brauchte ihn nicht auf mich aufmerksam zu machen – mein heller Pelz war nur in absoluter Dunkelheit nicht mehr zu sehen. Ich richtete mein Augenmerk wieder auf den Mann und kauerte mich nieder, die Vorderbeine auf dem Boden, das Hinterteil in der Luft, brachte mich in Sprungstellung und testete die Hinterbeine aus. Rauf, runter, Seite, andere Seite, wieder runter, halt … perfekt. Ich verlagerte die Konzentration auf die Vorderbeine und spannte die Muskeln. Ein letzter Blick auf mein Ziel. Gut. Absprung.
Ich segelte durch die Luft. Das Gestrüpp knackte bei meinem Start. Der Mann hörte es. Er drehte sich um, hob die Arme, um mich abzuwehren, ohne zu sehen, dass meine Flugbahn ihn nicht erreichen würde. Ich landete rechts von ihm, zog den Kopf zwischen die Schultern und knurrte. In seinen Augen blitzte erst Überraschung, dann Verstehen auf. Das war es, was ich gewollt hatte. Ich wollte seinen Ausdruck sehen, wenn ihm klar wurde, was ihm gegenüberstand; diesmal wollte ich nicht für einen Wolf oder einen Wildhund gehalten werden. Ich wollte das Verstehen, das Entsetzen, schließlich die Blasenschwäche auslösende Panik sehen. Einen langen Moment stierte er mit offenen Mund, ohne sich zu bewegen, ohne auch nur zu atmen. Dann setzte die Panik ein. Er fuhr herum und wäre fast über Clay gefallen. Dann schrie er, ein schrilles kaninchenhaftes Quieken der Angst. Clay zog die Lefzen zurück; die Reißzähne blitzten im Mondlicht. Er knurrte, und der Mann nahm Reißaus – nach Norden auf trockeneres Gelände zu.
Wirklich jagen konnte man nicht in dem Schlamm; es hatte mehr von zwei Schlammcatchern, die hinter einem Dritten her sind, wobei alle eher schlittern als laufen. Sobald wir festeren Boden erreicht hatten, begann der Mann zu rennen. Wir hetzten hinter ihm her. Es war ein unfaires Rennen. Ein rennender Wolf ist schneller als die meisten Profiathleten. Der Mann war fantastisch in Form, aber er war kein Profi und außerdem durch Erschöpfung, wachsende Panik und erbärmliche Nachtaugen behindert. Wir hätten ihn mit einem kurzen Sprint einholen können. Stattdessen wurden wir langsamer. Wir mussten dem Typ doch eine Chance geben, stimmt’s? Selbstverständlich war nichts als Fairness unser Motiv. Wir versuchten nicht etwa, die Jagd in die Länge zu ziehen.
Wir trabten eine gute Meile weit über offenes Land hinter ihm her. Der Gestank seiner Panik trieb zu uns zurück, füllte meine Nase und überschwemmte mein Hirn. Der Boden flog unter meinen Füßen dahin; meine Muskeln streckten sich und zogen sich in so vollkommener Harmonie wieder zusammen, dass das Gefühl fast so berauschend war wie der Geruch der Angst. Sein mühsamer Atem scheuerte wie Sandpapier in der stillen Nacht. Dann plötzlich meldete sich mit einem neuen Geruch im Wind die Realität zurück. Dieselqualm. Vor uns lag eine Straße. Der Schreck fuhr durch mich hindurch, nur um gleich darauf von Einsicht verdrängt zu werden. Es war ungefähr drei Uhr morgens mitten in einem Urlaubsgebiet. Die Aussichten darauf, auf einen Stau zu stoßen, waren gleich null. Die Aussichten darauf, auch nur auf ein einzelnes Auto zu stoßen, waren fast genauso gering. Wir brauchten nichts zu tun, als den Typ über die Straße zu scheuchen und weiterzumachen.
Ich roch den Dieselgeruch immer noch, aber er war nicht mit dem Geruch nach Asphalt gemischt. Ein ungeteerter Fahrweg. Noch besser. Wir erreichten eine kleine Hügelkuppe und sahen die Straße vor uns liegen, ein leeres braunes Band, das sich durch die Hügel zog. Der Mann kletterte gerade durch den Graben auf der näher gelegenen Seite. Als wir den Hang hinunterjagten, erleuchtete ein Lichtblitz eine Sekunde lang die Straße und verschwand. Ich hielt inne. Einen Moment lang war alles dunkel. Dann blitzte das Licht wieder auf. Zwei runde Lampen in der Ferne, die über die Hügel tanzten. Der Mann sah sie ebenfalls. Er bot eine letzte Kraftanstrengung auf und rannte dem Auto die Arme schwenkend
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