Womit ich nie gerechnet habe: Die Autobiographie (German Edition)
»Konditionen«, also Vergünstigungen verschiedenster Art, mit denen die Industrie den Handel gewissermaßen »besticht«. Da bekommt ein Händler beispielsweise Rabatt, wenn er die Ware auf den besten Regalboden setzt oder wenn er die Produkte in einer Zeitungswerbung platziert. Den Filialen wird in den Abrechnungen jedoch der Listenpreis präsentiert, aus den Boni und Rabatten finanziert sich die Zentrale. Die Leistungen der Zentrale sind eine Blackbox. Die Mitarbeiter in den Filialen haben keine Vorstellung von den wirklichen Aufwänden und Leistungen. Auf diese Weise können sie sich auch nicht beschweren.
Das ist bei dm anders: Wenn die Preise der Finanzabteilung steigen, dann fragen die Filialen nach, wenn sie nicht erkennen können, welche Mehrleistungen sie dafür bekommen. Insofern muss jede Abteilung der anderen permanent Rede und Antwort stehen, bekommt aber auch Anerkennung, wenn es gelingt, dieselben Leistungen günstiger zu generieren.
Das wundersame Wachstum von Schlecker
Der Spielraum zwischen Listenpreis und Konditionen gehörte übrigens zum wesentlichen Geschäftsmodell von Schlecker. Es hat eine Weile gedauert, bis ich begriff, wieso diese Drogeriemarktkette ein solch unglaubliches Wachstum hinlegen konnte. Der gelernte Metzger Anton Schlecker hatte erst 1975 seinen ersten Drogeriemarkt eröffnet, aber schon zwei Jahre später über hundert Filialen. Bis 1984 verzehnfachte sich die Zahl der Filialen. Ab 1994 galt Schlecker als Marktführer. Kurz vor seiner Insolvenz 2007 stellte Schlecker zeitweise 76 Prozent der Drogeriemärkte in Deutschland.
Von den Banken und anderen Wirtschaftsexperten wurden wir deswegen immer gefragt: »Warum machen Sie nicht so viele Läden wie der Schlecker auf?« Jahrelang habe ich dieselbe Antwort gegeben: »Weil wir nicht der Größte sein müssen, wir müssen der Beste sein. Denn wenn man lang genug der Beste ist, wird man irgendwann der Größte.« Nun, das hat 35 Jahre gedauert, womit ich nie gerechnet hatte. Schlecker hätte ich schon viel früher in den ewigen Jagdgründen vermutet. Mir war es relativ lange ein Rätsel, woher Schlecker seinen Erfolg nahm.
Anfangs hat Schlecker ganz sicher vor allem vom Abschmelzen der alten Drogerien profitiert. Anfang der 1970er Jahre gab es in Deutschland noch 17 000 Traditionsdrogerien. Jedesmal, wenn ein Einzelhändler seinen Laden dicht machte, stand Schlecker Gewehr bei Fuß und übernahm das Geschäft. Anders als dm gab er sich mit wenig Verkaufsfläche zufrieden und stellte notfalls einfach die Regale eng und voll. So hat er eben viele kleine Läden aufgemacht.
Dazu sparte er am Personal, wo er nur konnte. Oftmals musste eine Mitarbeiterin die Filiale ganz allein bewirtschaften, konnte nicht einmal in Ruhe zur Toilette gehen. Ende der 1990er Jahre kam dann noch heraus, dass er die Mitarbeiter um ihren rechtmäßigen Lohn betrogen hatte: Das Landgericht Stuttgart verurteilte Anton und Christa Schlecker 1998 zu einer Freiheitsstrafe von je zehn Monaten auf Bewährung und zu einer Geldstrafe in Höhe von einer Million Euro. Sie hatten Beschäftigten vorgetäuscht, sie würden nach Tarif bezahlt, obwohl die Löhne in Wahrheit niedriger waren. Der Betrug passte zum Menschenbild, das die beiden offensichtlich hatten. Frau Schlecker war der Meinung, dass die Mitarbeiter faul sind; Herr Schlecker glaubte, dass die Mitarbeiter gierig sind. Das Führungsmotto hieß: »Kontrolle ist besser«. Und so baute Schlecker ein rigoroses Kontrollsystem auf, ließ Bezirksleiter die Taschen, die Spinde und die Autos der Mitarbeiter kontrollieren. In den Läden hingen Kameras, um die Mitarbeiter zu beaufsichtigen. Als sich herumgesprochen hatte, dass es aus Kostengründen in den Schlecker-Filialen nicht mal Telefone gab, mit denen man die Polizei rufen könnte, spazierten die Diebe dort in aller Seelenruhe ein und aus.
Aber weder der krankhafte Geiz noch angebliche Dumpingmieten für die Läden erklärten das schnelle Wachstum. Zwar weitete Schlecker das Geschäft nicht nur durch Expansion, also Wachstum aus eigener Kraft, sondern auch durch Akquisition, also Zukauf von bestehenden Filialen anderer Unternehmen, aus. Aber ich ahnte, dass es andere Gründe geben musste.
Auf die Schliche kam ich dem Ganzen 1994, als wir herausfanden, zu welchen Konditionen die Industrie Schlecker die Ware abgab. Ich hatte mir die erstmals veröffentlichte Schlecker-Bilanz genauer angesehen und festgestellt, dass Schlecker mit einem Quadratmeterumsatz von
Weitere Kostenlose Bücher