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Womit ich nie gerechnet habe: Die Autobiographie (German Edition)

Womit ich nie gerechnet habe: Die Autobiographie (German Edition)

Titel: Womit ich nie gerechnet habe: Die Autobiographie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Götz W. Werner
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4800 D-Mark weit unter den branchenüblichen Werten lag. Wir selbst machten – obwohl wir ungleich größere Filialen hatten – einen Quadratmeterumsatz von über 10 000 Mark. Auch bei den Personalkosten lieferte Schlecker einen traurigen Spitzenwert, traurig, weil die Personalkosten hoch waren, obwohl die Schlecker-Läden knapp besetzt und die Mitarbeiter unterbezahlt waren. Wie sehr, wusste man damals ja noch nicht. Und selbst für die Mieten musste Schlecker mehr als wir berappen, weil wir aufgrund der sehr langen Mietverhältnisse eben auch gute Preise ausverhandelt hatten. Also blieb nicht mehr viel. Wer überall mehr zahlt als die Konkurrenz, muss an irgendeiner anderen Stelle sparen.
    Der Blick auf den Wert des Warenbestandes (460 Millionen Mark) und die Höhe der Lieferantenverbindlichkeiten (550 Millionen Mark) förderte es zutage. Bei uns selbst lautete das Verhältnis 120 Millionen zu 50 Millionen Mark. Sprich: Die Lieferanten gaben Schlecker durch Zahlungsziele von bis zu einem Jahr kostenlose Kredite in Höhe von insgesamt 360 Millionen Mark. Davon träumen viele: Heute geliefert, in einem Jahr bezahlen. Diese Konditionen haben Schlecker etwa 30 Millionen Mark Zinsen im Jahr erspart. Damit kann man schon die eine oder andere Filiale eröffnen.
    Und mehr noch: Es war ein offenes Geheimnis, dass die meisten Schlecker-Lieferanten die Warenerstausstattung zu Neueröffnungen ohne Berechnung lieferten. Im Klartext: Wenn Schlecker einen neuen Laden aufmachte, bekam er die Ware dafür von der Industrie geschenkt. Wohlgemerkt: Nulltarif! Da macht die Eröffnung eines neuen Ladens richtig Spaß. Kein anderes Unternehmen der Branche konnte jemals solche Konditionen aushandeln. Auf diese Weise hat Schlecker es fertiggebracht, in einer Art Schneeballprinzip die alten Läden zu finanzieren, indem er ständig neue Läden aufmachte. Diese Geburtshilfen der Industrie machten nämlich – bei durchschnittlich 300 Neueröffnungen pro Jahr – ebenfalls etwa 30 Millionen Mark aus. So kam es, dass bei Schleckers Insolvenz später nicht eine einzige Bank irgendetwas verloren hat. Er hat nie einen Cent Kredit gebraucht.
    »Schlecker – das unproduktivste Unternehmen
der Branche!«
    Ich schrieb im August 1994 deshalb empört einen offenen Brief an die Industrie, wo ich diese Wettbewerbsverzerrung anprangerte. Vor allem mit dem Satz »Schlecker ist das unproduktivste Unternehmen der Branche!« machte ich Schlagzeilen. Vor allem, weil ich angesichts der bekannten Dynamik von Schneeballsystemen eine dramatische Entwicklung vorhersagte und die Industrie fragte, ob sie »vielleicht den Überblick über mögliche Folgen ihres Tuns verloren hat«. Ändern tat sich nichts. Das Ganze ging munter weiter und führte erst im Januar 2012 zur Insolvenz.
    Schleckers geradezu manischer Drang zum Sparen brachte ihn dazu, den Lieferanten sogar noch die Kosten für die Expansion aufzubürden. Er ließ sich von der Industrie pauschal Geld dafür geben, dass er einen neuen Laden eröffnete. Ich selbst habe einen solchen Brief gesehen, den er damals mit Schreibmaschine an einen Lieferanten schrieb, nachdem er ein Verteilzentrum aufgemacht hatte. Auch die baute er so billig wie möglich und brauchte deswegen viele davon. Am Ende hatte er etwa zwanzig solche Regionallager, was auch vollkommen ineffizient war.
    Jedenfalls hieß es in dem Brief sinngemäß: »Sehr geehrte Damen und Herren, wir haben jetzt in Schneverdingen unser Lager eröffnet. Dort haben wir 12 Millionen Euro investiert. Gemäß Ihrem Umsatzanteil bei uns entfällt auf Sie ein Beitrag von 3560 Euro. Wir bitten Sie, das auf eines der unten stehenden Konten zu überweisen.« Und die Industrie hat das gemacht. Da saßen wahrscheinlich irgendwelche Vertriebsleute, die einen Bonus kassierten, wenn sie wieder eine Palette Ware verkauft hatten. Auf die paar Euro kam es denen nicht an, »war ja nicht ihr Geld«. Außerdem spekulierten sie darauf, dass Schlecker sehr viel teurer einkaufte als andere.
    Das bekam ich nämlich 1994 als Reaktion auf meinen offenen Brief zu hören: »Herr Werner, wenn Sie wollen, können Sie Schleckerkonditionen bekommen. Der kauft bei uns teurer ein.« Die Lieferanten haben Schlecker zwar längere Zahlungskonditionen gegeben, aber dafür geringeren Bar-Rabatt. Deswegen konnte er mit unseren Preisen nie mithalten. Damals, als wir gerade auf den Dauerpreis umgestellt hatten, war Schlecker immer der Teuerste. Zum Schluss war Schlecker sogar 17 Prozent teurer als

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