Wortlos: Peter Nachtigalls fünfter Fall (German Edition)
so
ganz von der Hand zu weisen, nicht? Aber dann muss es wirklich unvorhersehbar gewesen
sein – sonst wäre sie dem potenziellen Angreifer aus dem Weg gegangen. Jemand kann
sie verfolgt haben. Oder hat ihr aufgelauert. Ein Restrisiko bleibt ja immer.«
»Nun gut. Bedenken Sie bitte, dass wir das
Mordmotiv noch nicht kennen.«
»Oh – mein persönliches Restrisiko habe
ich gut im Griff«, beteuerte die Studentin unbeschwert und lachte schallend über
Nachtigalls skeptischen Gesichtsausdruck.
Albrecht Skorubski parkte vor dem ›Café Lauterbach‹ am
Bahnhof.
»Pause.«
»Einverstanden.«
Sie wählten einen Tisch etwas abseits der
anderen Gäste und bestellten zwei Milchkaffee.
»Probleme?«, fragte Skorubski vorsichtig.
Er wusste, dass Nachtigall selten über sich sprach, spürte aber deutlich, wie sehr
ihn irgendetwas bedrückte.
»Wie man’s nimmt.«
Sie sahen auf die Bahnhofstraße hinaus,
die zu jeder Tageszeit stark befahren war.
»Bekannte von mir sind kurz nach der Wende
hergezogen. Das Erste, was ihnen auffiel, war die breite Bahnhofstraße, auf der
nur wenige Autos fuhren. So eine breite Straße und kaum Verkehr, staunten sie damals.
Und nun sieh dir das Gewimmel da an. Staus. Obwohl sie vierspurig ist.«
Skorubski nickte und nippte mit spitzen
Lippen an dem heißen Getränk.
»Sag mal – als du damals deine Frau«, Nachtigall
stockte. »Bevor ihr geheiratet habt, musst du sie doch gefragt haben, ob sie dich
überhaupt zum Mann will. Wie hast du das gemacht?«
»Hast du Birgit damals nicht gefragt?«
»Nein. Eben nicht. Und irgendwie finde ich
nie den richtigen Moment, um Conny zu fragen. Wenn ich später im Bett liege, erkenne
ich, dass ich ihn nur nicht genutzt habe. Er war da. Mehrfach.«
»Bei uns war es eigentlich keine Frage des
Wollens. Es war eine Frage der Zeit.«
Nachtigall zog fragend eine Augenbraue hoch.
»Nun, meine Angebetete flüsterte mir ins
Ohr, sie sei schwanger. Da war etwas Zeitdruck im Spiel, weil wir nicht wollten,
dass ihre Eltern etwas davon bemerken. Sehr konservatives Elternhaus, es hätte was
von Weltuntergang gehabt.«
»Der Weg scheidet aus. Ehrlich – ich möchte
kein Kind mehr, das ich erziehen und führen muss. Im Grunde bin ich ja froh, dass
Jule dem entwachsen ist.« Flüchtig drängte sich ihm die Erinnerung an das seltsame
Telefonat mit seiner Tochter auf, und eine kleine Pause entstand. »Und Conny sieht
gerade bei einer Freundin, wie sehr sich das Leben reduziert, wenn ein Neugeborenes
im Haus ist. Sie spricht schon seit Monaten nicht mehr von einer Schwangerschaft«,
fuhr er dann fort.
»Ich wollte dir das auch nicht als Rezept
vorschlagen«, grinste Skorubski. »Warum fragst du sie nicht einfach völlig unkompliziert.
Es kann sie ja eigentlich nicht überraschen – irgendwie verlobt seid ihr doch schon.«
Er wies auf den Ring an Nachtigalls Finger.
»Ja, das stimmt schon«, räumte der Freund
ein und drehte versonnen lächelnd daran.
»Na, dann würde ich es eben heute Abend
beim Essen einfach mal wagen.«
»Aber wenn sie ›nein‹ sagt? Bisher konnte
ich sie noch nicht einmal dazu bewegen, zu mir zu ziehen«, gab Nachtigall unglücklich
zurück.
»Nun, Peter, du wirst das Risiko eingehen
müssen – sonst erfährst du am Ende nie, ob sie dich heiraten will. Warte nicht immer
auf den richtigen Moment, der kommt womöglich nie. Und weißt du – so unendlich viel
Zeit zum Vertrödeln bleibt euch nun auch wieder nicht.«
Nachtigall betrachtete in Gedanken versunken
den sich langsam auflösenden Milchschaum und schwieg.
»Es fehlt noch ›PRO‹. Michael hat mir die
Adresse ihres Treffpunkts rausgesucht. Es ist eine Privatwohnung in der Rudnickistraße.
Dorthin werden wir als Nächstes fahren«, wechselte er schließlich abrupt das Thema.
»Na, die warten sicher schon auf uns. Nach
den Schlagzeilen.«
»Der Leiter der Sektion Cottbus war ein
ziemlich unfreundlicher Typ, kann ich mich erinnern. Arrogant. Ich glaube, er hatte
nach seiner schmählichen Flucht vor den gewaltfreien ›Mind Watchers‹ immer einen
Bodyguard bei sich«, überlegte Nachtigall halblaut. »An dem werden wir erst vorbeimüssen!«
»Oh, den Leibwächter kenne ich. Das ist
William Schmidt. Heute nennt er sich nur noch Willi – der englische Vorname ist
ihm peinlich, seit er bei ›PRO‹ eine neue Heimat gefunden hat. Früher war er Türsteher
und fiel immer wieder wegen seiner handgreiflichen Argumentationen auf. Seine Familie
hat vor Jahren in meiner
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