Wortlos: Peter Nachtigalls fünfter Fall (German Edition)
neue, eine andere Claudine Caro.
»Gab es jemanden, der Ihre Freundin gehasst
hat?«, fragte der Hauptkommissar leise und bemerkte, wie das Foto in Beates Hand
zu zittern begann.
»Nein. Sie war zurückhaltend und freundlich.
Ich habe nie erlebt, dass sie sich mit jemandem gestritten hätte. Nie!«
Nach einer Pause fügte sie hinzu: »Sie und
ich, wir wissen doch genau, dass Sie den Täter nicht auf dem Campus suchen müssen.
Ich finde den Gedanken entsetzlich, dass jemand Claudine nur ihrer Hautfarbe wegen
getötet hat. Irgendein verblendeter Hasser, der sie überhaupt nicht kannte.«
»Dann glauben Sie an ein ausländerfeindliches
Motiv?«
»Ja, selbstverständlich! Sie doch auch.«
Nachdenklich fuhren sie zu Kristina Morgental, die, wie
Meinert vermutet hatte, in einer WG an der Bahnhofstraße wohnte.
Warum war Claudine bei den Ausflügen mit
Beate so entspannt, während alle anderen ihre Angst bemerkt hatten? Und wie kam
es, dass man diese junge Frau stets als mutig und zielstrebig beschrieb – obwohl
allen ihr eigenartig verschrecktes Verhalten aufgefallen war?
Kristina Morgental reagierte zunächst unterkühlt, dann
deutlich gereizt auf die Fragen der beiden Kripobeamten. Offensichtlich war sie
gerade erst aufgestanden, ihre Haare standen wirr in alle Richtungen ab, und Reste
des gestrigen Make-ups verschmierten das Gesicht.
»Hab ich mir schon gedacht, dass Sie kommen.
Die Jungs haben Ihnen unsere Namen gegeben.«
In Kristinas großem Wohn-Schlaf-Arbeitszimmer
gab es eine Sitzecke, in der überdimensionierte Kissen auf dem Boden lagen. Etwas
ungelenk nahmen die beiden Ermittler Platz.
»Außer mir noch jemand, der einen Tee brauchen
kann?«, fragte das junge Mädchen unfreundlich und wartete. »Gut, dann eben nur für
mich!«
Wenige Augenblicke später erschien sie mit
einem großen Teepott und plumpste wenig elegant auf eines der Kissen. Nachtigall
registrierte, wie etwas von der roten Flüssigkeit auf ihre Jogginghose tropfte.
Sie bemerkte es nicht, oder es war ihr gleichgültig.
»Claudine wurde ermordet. Das weiß ich natürlich
schon. Meinert hat irgendetwas von Amputationen gefaselt, aber das ist typisch für
ihn, er bringt da schon mal einige Dinge durcheinander.«
»Nein, in diesem Fall stimmt es.«
Ihr rundes Gesicht verlor alle natürliche
Farbe, sodass die schwarzen und blauen Schminkspuren noch deutlicher hervortraten.
»Echt?«, hauchte sie dann und steckte ihre
Nase in den Tee.
»Ja.«
»Scheiße!«
Sie ließen der Studentin Zeit, sich zu fangen.
»Hat Claudine je mit Ihnen über ein gefährliches
Geheimnis gesprochen? Oder Ihnen etwas zur Aufbewahrung gegeben?«
»Mann – das missverstehen Sie nun aber wirklich.
Claudine war nicht so eine! Wenn das Geheimnis wirklich gefährlich gewesen wäre,
hätte sie es für sich behalten. Nie hätte sie jemanden gebeten, etwas für sie zu
verstecken, wenn ihn das in Gefahr bringen konnte. Sie war stark und verantwortungsbewusst.
Für Freunde setzte sie sich mit aller Kraft ein, sie war absolut verlässlich. Ein
Fels in der Brandung – wenn Sie dieses Bild bemühen wollen.«
»Wer könnte ein Interesse an ihrem Tod haben?«
»Sie war nicht reich. Darum kann es unmöglich
gegangen sein. Vielleicht hatte sie mit einem Mann ein Verhältnis und eine Nebenbuhlerin
hat sie ausgeschaltet?«
Kristina nippte wieder an ihrem Tee. Schließlich
schüttelte sie den Kopf.
»Nein. Das ist Quatsch. Sie war ja in Meinert
verknallt. Hätte sie nebenbei ein Verhältnis gehabt, wäre uns das aufgefallen. Abgesehen
davon, dass Claudine für so was gar keine Zeit hatte.«
Kristina brütete wieder vor sich hin.
»Die Eltern von Meinert. Vielleicht war
es ihnen nicht recht, dass seine Freundin schwarz war? Nein«, verwarf sie auch diesen
Gedanken sofort. »Nein. Dann hätte Meinert das mal erwähnt. Hat er aber nicht.«
»Also kommt Ihrer Meinung nach niemand von
der Uni in Betracht«, stellte Nachtigall fest.
»Ja, so ist es wohl. Claudine konnte sehr
gut auf sich selbst aufpassen, auch wenn sie sich manchmal gerne auf ihren Wegen
begleiten ließ. Sie wich allen brenzligen Situationen aus. Wenn betrunkene oder
aggressive Jugendliche in der Straßenbahn mitfuhren, stieg sie immer aus und ging
den Rest des Weges lieber zu Fuß. Sie war ja nicht dumm oder leichtsinnig. Sie brachte
sich nicht durch Unachtsamkeit in Gefahr, nie!«
»Manche Menschen glauben an einen ausländerfeindlichen
Überfall.«
»Ja, das ist klar. Ist ja auch nicht
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