Wortlos: Peter Nachtigalls fünfter Fall (German Edition)
Er selbst hatte ihm zu bedenken gegeben, wie gefährlich seine Situation
sein könnte, doch offensichtlich hatte das nichts genützt. Ein flüchtiger Blick
genügte dem Hauptkommissar, um zu sehen, dass der junge Mann höchstwahrscheinlich
demselben Täter zum Opfer gefallen war, der auch Claudine Caros Leben auf brutale
Weise ein Ende gesetzt hatte. Das Gesicht starrte ihn aus leeren Augenhöhlen an,
Nase und Ohren fehlten. Der Mund war weit geöffnet, und so konnte der Hauptkommissar
erkennen, dass auch dem jüngsten Opfer die Zunge herausgetrennt worden war.
»Dr. Manz?«
»Oh, ja – hier.« Der Kopf des Arztes tauchte
auf der gegenüberliegenden Wagenseite auf. In der Hand hielt er noch immer das Leichenthermometer.
»Geht es Ihnen noch gut? Selbst bei diesen Lichtverhältnissen machen Sie einen sehr
blass-grünlichen Eindruck auf mich.«
»Das Thema brauchen wir nicht mehr zu vertiefen«,
seufzte Nachtigall genervt. »Was ich von Ihnen wissen möchte ist der Todeszeitpunkt.«
»Genauso zugerichtet wie das letzte Opfer. Ein kräftiger
Schlag spaltete ihm den Schädel, der Hieb wurde von hinten geführt. Todeszeitpunkt
– nun ja«, der Arzt legte die Stirn in Falten und grummelte. »Leichenflecke sind
schon vorhanden, Totenstarre beginnt gerade in Armen und Beinen, Temperatur – na
ja. Schon gesunken. So vier Stunden etwa ist er sicher tot«, schloss er dann und
nickte zufrieden.
»Tatzeitpunkt demnach kurz vor Mitternacht?«
Peter Nachtigall sah Dr. Manz fragend an.
»Also, so genau kann ich das natürlich nicht
festlegen«, wehrte sich der Arzt. »Es ist kalt, der Boden leitet Wärme gut ab, vielleicht
hatte er Alkohol getrunken. Schwankungen sind immer möglich.«
»Wie groß?«
Dr. Manz sah Nachtigall verständnislos an.
»Die Schwankung«, setzte der Hauptkommissar
ungeduldig hinzu.
»Oh«, der Arzt lächelte. »Eine Stunde rauf,
eine runter, würde ich sagen. Der Rechtsmediziner kann den Zeitraum vielleicht noch
eingrenzen.«
»Danke.«
Peter Nachtigall drehte sich zu den Kollegen
der Spurensicherung um.
»Habt ihr einen Rucksack oder so etwas wie
eine Tasche gefunden? Ich meine, wenn jemand zum Schwimmen geht, muss er doch Badehose
und Handtuch irgendwie verstauen.«
»Nein, bisher nicht, aber wir suchen weiter.
Vielleicht hat der Täter die Tasche ja auch auf dem Weg entsorgt.«
»Wer hat den Toten gefunden?«
»Ich. Friedrich Schulze vom Wachdienst«,
stellte sich ein Herr zackig vor, der sich bisher im Hintergrund gehalten hatte.
»Auf meiner Runde. Mir ist der Wagen schon beim letzten Rundgang aufgefallen. Parkte
so abseits. Eigentlich dachte ich eher an Drogendealer als an einen Mord. Nun, da
ging ich eben mal nachsehen, als der Wagen da noch immer stand. Und habe ihn gefunden.
Und daran, dass der Typ tot war, konnte es nun wirklich keinen Zweifel geben.«
»Aber wie lange genau der Wagen hier schon
parkte, wissen Sie nicht?«
»Nein – wenn er zum Schwimmen war, wissen
die an der Kasse im Bad vielleicht Bescheid.«
»Dr. März wird ziemlich sauer sein«, stellte
Wiener fest. »Ist wohl doch kein fremdenfeindlicher Hintergrund.«
»Ach!«, unterbrach ihn schneidend die Stimme
des Staatsanwalts. »Wollen Sie damit etwa andeuten, dass mir im Falle eines Mordes
einer mit ausländerfeindlicher Motivation angenehmer wäre als ein anderer?«
Peter Nachtigall trat unwillkürlich schützend
vor seine Kollegen. Dr. März war genötigt, sich ganz seinem Hauptkommissar zuzuwenden.
»Nein, das wollte er nicht. Er dachte sicher
nur daran, dass Sie nun die Aufgabe haben werden, der Presse zu erklären, dass die
von Ihnen bisher verfolgte Theorie wohl nicht stimmt«, versuchte der Ermittler den
Staatsanwalt zu beruhigen. »Bei diesem ermordeten jungen Mann handelt es sich um
den Freund des ersten Opfers. Das spricht dafür, dass den Morden ein privates Motiv
zugrunde liegt. Wir können also die Ermittlungen in Richtung Ausländerfeindlichkeit
ad acta legen.«
»Ach ja! Und wie wollen Sie sich da so sicher
sein?« Jens Schubert war inzwischen auch zu ihnen hinübergeschlendert. »Ein zweiter
Mord – diesmal an einem deutschen Freund des Opfers – ›Ausländerfreunde töten wir
auch‹. Das war vielleicht nur ein Vertuschungsversuch.«
Meinert Hagens Wohnungstür war nur angelehnt.
»Da hatte es aber jemand ziemlich eilig
zu verschwinden«, stellte Michael Wiener fest.
»Vielleicht ist er noch drin.«
Sie zogen ihre Waffen.
»Dann hat er uns gehört«, flüsterte Wiener
nun
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