Wortlos: Peter Nachtigalls fünfter Fall (German Edition)
erklärte er dann entschieden. »Mit dem dicken Bund in der Hand
wäre das Schieben ein echtes Problem geworden.«
Unvermittelt riss Nachtigall sein Mobiltelefon
aus der Tasche und stürmte los.
Irritiert sah Grundmann den breiten Rücken
verschwinden.
»Wir kommen später wieder«, keuchte Skorubski
zum Abschied und lief eilig hinter dem Freund her.
Der Streifenwagen wartete vor dem Hauseingang.
Nachtigall erfuhr, dass man den Einbrecher
nur knapp verpasst haben konnte. Die Kollegen hatten das gesamte Treppenhaus und
den Keller durchsucht, aber außer einer schwarzen Studentin, die eine Freundin besuchen
wollte, sei ihnen niemand begegnet.
Der Hauptkommissar brummte böse.
»Zu spät! Shit! Wieder zu spät!«, fluchte
er und rief ein Team der Spurensicherung.
Die Wohnung war verwüstet wie die beiden anderen zuvor.
Auch hier waren die wenigen Teppiche aufgerollt
und an die Wände geschoben, Wäsche, Unterlagen, Lebensmittel auf dem Boden verstreut.
Selbst die Blumentöpfe hatte der Täter ausgekippt oder umgestürzt.
»Gründlich gesucht«, fauchte Nachtigall
verbittert.
»Wenn Grundmann auch nicht hatte, was der
Täter sucht, dann ist er doch jetzt außer Gefahr«, stellte Skorubski vorsichtig
erleichtert fest.
Peter Nachtigall brummte indifferent.
»Wenn es nur um die Durchsuchung der Wohnungen
ging, wären all diese Morde nicht notwendig gewesen – sofern man bei Mord überhaupt
von Notwendigkeit sprechen kann. Die Opfer sollten mundtot gemacht werden. Bei Grundmann
ist das gründlich fehlgeschlagen.«
»Du meinst, er könnte immer noch ›auf der
Liste‹ stehen?« Skorubski schlug fröstelnd den Jackenkragen hoch.
»Ja – und möglicherweise ist es für den
Täter wichtiger denn je, ihn aus dem Weg zu räumen. Er weiß nicht, dass er nicht
gesehen wurde.«
Skorubski sah seinen Freund entgeistert
an: »Und da gehst du einfach weg und überlässt den jungen Mann seinem Schicksal?
Mensch, Peter! Stell dir vor, der Täter war womöglich schon da. Grundmann ist doch
ganz allein!«
Nachtigall grinste. »Allein mit seiner Familie
und einem Beamten vor der Tür. Ich riskiere doch nicht, dass unser einziger Zeuge
ermordet wird. Außerdem wird morgen in der ›Lausitzer Rundschau‹ stehen, er sei
nach dem Überfall schwer auf den Kopf gestürzt und die Ärzte hätten ihn wegen der
Hirnverletzung in ein künstliches Koma gelegt.«
Im Büro trafen sie auf Michael Wiener.
»Der Artikel, den du wolltest, erscheint
morgen auf Seite eins, genau so wie du geplant hast«, verkündete er sofort.
»Gut. Wenn der Täter glaubt, Grundmann könne
ohnehin nichts erzählen, hat er es vielleicht nicht so eilig, ihn umzubringen. Natürlich
bleibt ein Beamter zu seinem Schutz dort. 24-Stunden-Überwachung! Wo ist Emile?«
»Hier!«, rief die sympathische Stimme des
Profilers, der gerade die Tür aufstieß und in den Raum stürmte.
»Hallo. Grundmann hat den Überfall überlebt.
Er hat eine Bänderverletzung im linken Knie und einen Schock – mehr nicht. Geht
ihm gut. Aber das wissen nur wir – die Öffentlichkeit erfährt etwas anderes. Wie
meinst du, reagiert der Kerl nun?«, sprudelten die Informationen förmlich aus Nachtigall
hervor.
»Schwer zu sagen«, sie versammelten sich
um Nachtigalls Schreibtisch, rückten eng zusammen. »Es ist das erste Mal, dass etwas
schiefging – zumindest soweit wir das beurteilen können. Es besteht das Risiko,
gesehen worden zu sein.« Couvier überlegte lange, dann meinte er: »Möglicherweise
gerät er in Panik. Er ist ein guter Killer, macht keine Fehler. Es gilt, ›die Scharte
auszuwetzen‹. Trotz aller Risiken, die er eingeht, haben wir es mit einem Mörder
zu tun, der geordnet handelt, plant und durchzieht. Er leidet unter dem Makel. Denkbar
ist allerdings auch, dass er sich nun erst einmal zurückzieht und in Ruhe nachdenkt,
was er tun kann – und abwartet, was die Polizei unternehmen wird.«
»Welche Variante ist die wahrscheinlichere?«,
blieb Nachtigall hartnäckig.
Emile Couvier seufzte. »Was du willst, ist
seine Adresse«, beschwerte er sich. »Aber, gut. Wir gehen davon aus, dass wir einen
risikobereiten Täter jagen. Einen, der seine Taten nach einem korrekt einzuhaltenden
Schema begeht – daran ändert auch die Eskalation bei Beate Michaelis nichts, das
war eher Frustration. Ich denke, er wird versuchen, wieder Ordnung in die Angelegenheit
zu bringen und den Mord zum Abschluss zu bringen.«
»In Cottbus gibt es nur das Thiem-Klinikum.
Er
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