Wovon ich rede, wenn ich vom Laufen rede
und spielte wieder mit mehr Begeisterung Squash. Demzufolge veränderte sich allmählich auch mein Lebensstil. Ich betrachtete das Laufen nicht mehr als Mittelpunkt meines Lebens (was als Befund offensichtlich war, könnte man sagen). Nur halbbewusst nahm ich eine gewisse Distanz zum Laufen ein. Es hatte Ähnlichkeit mit dem Nachlassen der ersten leidenschaftlichen Verliebtheit in einer Beziehung.
Endlich habe ich das Gefühl, den Nebel des »Runner’s Blue«, der mich so lange umgeben hat, hinter mir zu lassen. Er hat sich noch nicht völlig geteilt, aber es beginnt sich etwas zu bewegen. Wenn ich morgens meine Laufschuhe schnüre, verspüre ich ein leichtes Beben. Um mich herum und in mir beginnt sich etwas zu regen. Diesen zarten Keimling möchte ich hegen und pflegen. Um keinen Laut zu überhören, nichts zu übersehen und keinen Hinweis zu verpassen, konzentriere ich mich ganz auf meinen Körper.
Seit längerem fühle ich mich bei meinem täglichen Marathon-Training wieder eins mit mir. Ich schlage ein neues Heft auf, schraube ein neues Tintenfass auf und versuche etwas Neues zu schreiben. Warum ich mich wieder offener fühle, kann ich noch nicht folgerichtig erklären. Vielleicht hat die Rückkehr nach Cambridge und zum Charles River meine alten Gefühle wieder geweckt. Vielleicht ist mit der Rückkehr in die vertraute Landschaft auch die Erinnerung an die Tage zurückgekehrt, in denen ein Lauf am Fluss mich mit unbekümmerter Freude erfüllte. Oder alles war nur eine Frage der Zeit. Vielleicht musste ich nur eine innere Anpassung vollziehen und die Zeitspanne, die dazu nötig war, geht ihrem Ende entgegen.
Wie gesagt, bedeutet Schreiben Denken für mich, wie für die meisten Menschen, die berufsmäßig schreiben. Es ist also nicht so, dass ich meine Gedanken in Worte fasse, sondern ich denke, während ich etwas verfasse. Die Tätigkeit des Schreibens regt mein Denken an. Beim Überarbeiten und Umschreiben vertiefen sich meine Gedanken. Doch soviel ich auch schreibe, ich gelange nie zu einem Schluss, und ganz gleich, wie oft ich einen Text umarbeite, ich vermag nie, das Ziel zu erreichen – natürlich nicht. Gerade eben zum Beispiel ist es genauso. Ich lege nur einige Hypothesen dar oder paraphrasiere die Fragestellung an sich. Oder ich vergleiche die Struktur der Frage mit etwas anderem, das ähnlich strukturiert ist.
Ehrlich gesagt, ich habe keine Ahnung, welche Momente und Ereignisse diesen »Runner’s Blue« bei mir hervorgebracht haben. Und warum er jetzt allmählich verschwindet, weiß ich auch nicht. Ich habe noch keine Erklärung dafür. Vielleicht bleibt mir auch am Ende nur zu sagen: So ist das Leben. Wir können es nur akzeptieren, wie es ist, ohne für alles die Gründe zu kennen. Wie die Steuer, die Gezeiten, John Lennons Tod und Fehlentscheidungen der WM -Schiedsrichter.
Ganz deutlich spüre ich jedoch, dass sich ein Kreis geschlossen hat. Das Laufen ist als tägliche Freude und Teil meines Lebens, der nicht fehlen darf, zu mir zurückgekehrt. Seit über vier Monaten laufe ich wieder jeden Tag. Es ist nicht nur eine mechanische Übung. Kein vorgeschriebenes Ritual. Mein Körper verlangt ganz von selbst danach, auf die Straße hinauszugehen und zu laufen. Wie er, wenn er ausgetrocknet ist, nach saftigen frischen Früchten verlangt. Ich freue mich auf den New York City Marathon am 6. November. Ich bin gespannt, ob er mir Freude bereiten wird, ob ich zufrieden sein werde und was überhaupt dabei herauskommt.
Die Zeit, die ich laufe, spielt keine Rolle für mich. Ganz gleich, wie sehr ich mich anstrenge, ich werde nie mehr so laufen wie früher. Das ist eine Tatsache und die akzeptiere ich. Ich will nicht sagen, dass es mich sonderlich glücklich macht, aber so ist es eben, wenn man älter wird. Ebenso wie ich meine Aufgabe habe, hat die Zeit die ihre. Und die Zeit nimmt ihre Pflichten viel getreuer und genauer wahr, als ich es jemals tue. Seit ihrer Entstehung (wann das wohl war?) hat sie sich stets vorwärtsbewegt, ohne auch nur einmal zu ruhen. Und eines der glücklichen Privilegien der Menschen, die einem frühen Tod entgangen sind, ist die besondere Gnade, alt zu werden. Uns wird die Ehre körperlichen Verfalls zuteil. Dies ist die Realität, an die wir uns gewöhnen müssen.
Es hat keinen Sinn, mit der Zeit um die Wette zu laufen. Von nun an wird es von weit größerer Bedeutung für mich sein, die 42 Kilometer zu meiner Zufriedenheit zu vollenden und Freude daran zu haben. Dinge, an
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