Wovon ich rede, wenn ich vom Laufen rede
Cambridge war nicht gerade entspannt. Das Haus, in dem wir wohnten, wurde gerade umgebaut, und den ganzen Tag über wurde gehämmert und gebohrt. Andauernd gingen vor unserem Fenster im dritten Stock Arbeiter hin und her. Die Arbeiten begannen um halb acht morgens (wenn es noch dunkel ist) und dauerten bis drei Uhr am Nachmittag. Dann passierte ein Missgeschick mit der Abwasserleitung der Veranda über uns und unsere ganze Wohnung wurde vom Regen durchweicht. Das Wasser tropfte sogar aufs Bett. Obwohl wir jedes verfügbare Gefäß einsetzten, reichte das nicht, um das ganze Wasser aufzufangen, das von der Decke troff, also legten wir die Wohnung mit Zeitungspapier aus. Zu allem Überfluss fiel auch noch der Boiler aus, und wir hatten weder Heizung noch heißes Wasser. Doch damit nicht genug. Mit dem Rauchmelder im Treppenhaus war etwas nicht in Ordnung, sodass sich ständig gellend der Alarm einschaltete. Jedenfalls war es jeden Tag unglaublich laut.
Das Haus, in dem wir wohnten, lag in der Nähe vom Harvard Square, und ich konnte zu Fuß in mein Büro an der Universität gehen, was wirklich praktisch war. Natürlich war es Pech, dass wir ausgerechnet dann eingezogen waren, als umgebaut wurde, aber ich kann ja nicht die ganze Zeit nur jammern. Ich habe Wichtigeres zu tun, und der New York Marathon rückt immer näher.
Wenigstens scheint sich das Knie beruhigt zu haben. Das ist schon einmal eine gute Nachricht. Ich will versuchen, die Dinge von ihrer guten Seite zu betrachten.
Es gibt noch eine gute Nachricht. Mein Vortrag am 6. Oktober im Massachusetts Institute of Technology ist sehr gut gelaufen. Vielleicht sogar zu gut? Die Universität hatte einen Saal für 450 Personen vorgesehen, aber es kamen 1700, das heißt, man musste die meisten wieder nach Hause schicken. Die Campus-Polizei musste kommen und alles regeln. Wegen des Chaos verzögerte sich der Beginn, und dann fiel auch noch die Klimaanlage aus. Da es ein hochsommerlich heißer Tag war, waren die im Saal zusammengepferchten Leute alle schweißgebadet.
»Ich danke Ihnen, dass Sie so zahlreich zu meiner Lesung erschienen sind. Hätte ich gewusst, dass so viele kommen, hätte ich das Fenway-Parkstadion gebucht«, begann ich. Aufgrund der Hitze und des Durcheinanders waren alle gereizt, und man musste sie zum Lachen bringen. Ich zog das Jackett aus und sprach im T-Shirt. Das Publikum (zum Großteil Studenten) reagierte sehr positiv, und ich fühlte mich bis zum Schluss wohl und konnte ungehemmt sprechen. Ich war sehr glücklich, dass so viele junge Leute Interesse an meinen Romanen hatten.
Mit einem weiteren Projekt – die Übersetzung von Scott Fitzgeralds Der große Gatsby ins Japanische – komme ich ebenfalls gut voran. Ich habe bereits eine erste Fassung erstellt und arbeite an der zweiten. Ich gehe sie sorgfältig Zeile für Zeile durch, die Übersetzung wird geschmeidiger, und es gelingt mir immer besser, die Atmosphäre von Fitzgeralds Text in ein weniger artifiziell wirkendes Japanisch zu übertragen. Es kommt vielleicht etwas spät, aber ich finde, Der große Gatsby ist wirklich ein wunderbarer Roman. Sooft ich ihn auch lese, ich werde seiner nie überdrüssig. Er gehört zu den literarischen Werken, die so voller Gehalt sind, dass man bei jedem Lesen etwas Neues entdeckt, das eine neue starke Reaktion hervorruft. Wie konnte ein so junger Schriftsteller von nur neunundzwanzig Jahren so scharf, ausgewogen und warmherzig die Wirklichkeit durchdringen? Wie war das möglich? Je mehr ich darüber nachdenke und je öfter ich diesen Roman lese, desto wunderbarer erscheint er mir.
Am 20. Oktober lief ich wieder, nachdem ich wegen des Regens und des komischen Gefühls in meinem Knie vier Tage pausiert hatte. Am Nachmittag, als die Temperatur etwas gestiegen war, zog ich mich warm an und joggte langsam nur etwa vierzig Minuten. Glücklicherweise fühlte sich mein Knie nicht seltsam an. Am Anfang joggte ich nur leicht dahin und steigerte die Geschwindigkeit erst allmählich, als ich merkte, dass alles in Ordnung war. Beine, Knie, Fersen bewegten sich jetzt problemlos. Das bedeutete eine riesige Erleichterung für mich, denn im Augenblick ist es für mich das Wichtigste, den New York City Marathon bis zu Ende zu laufen. Ich habe vor, die Ziellinie zu erreichen, nicht zu gehen und den Lauf zu genießen. Das sind meine drei Vorsätze, in dieser Reihenfolge.
Das sonnige Wetter hielt drei Tage an, und endlich konnten die Leitungen auf dem Dach repariert
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