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Wovon ich rede, wenn ich vom Laufen rede

Wovon ich rede, wenn ich vom Laufen rede

Titel: Wovon ich rede, wenn ich vom Laufen rede Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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begonnen. Heute ist der 1. August. Der Triathlon findet am 1. Oktober statt, also in genau zwei Monaten. Ob ich bis dahin die entsprechende Muskulatur aufbauen kann, ist zwar fraglich, auf jeden Fall muss ich mich jedoch an das Rad gewöhnen. Seit etwa sieben Jahren fahre ich ein federleichtes Panasonic-Rennrad aus Titan. Die Gangschaltung ist wie eine meiner Körperfunktionen. Es ist eine wunderbare Maschine. Zumindest ist sie ihrem Fahrer weit überlegen. Ich habe es ziemlich beansprucht, aber es hat mir nie ernsthafte Probleme bereitet. Vier Triathlone bin ich bereits damit gefahren. Auf seinem Rahmen steht 18 ’til I Die , der Titel des Hits von Bryan Adams. Natürlich ist das ein Witz. Um achtzehn zu bleiben, bis man stirbt, muss man eben mit achtzehn sterben.
    Der Sommer in Japan war ungewöhnlich in diesem Jahr. Die Regenzeit, die normalerweise Anfang Juli aufhört, zog sich fast bis zum Ende des Monats hin. Es regnete immer weiter, es war einfach ekelhaft. In einigen Gebieten regnete es so stark, dass sogar Menschen ums Leben kamen. Das soll alles von der globalen Erwärmung kommen. Vielleicht stimmt das, vielleicht auch nicht. Einige Wissenschaftler sagen ja, andere nein. Es gibt Beweise dafür und Beweise dagegen. Dennoch heißt es, die meisten Probleme auf der Welt resultierten mehr oder weniger aus der Erwärmung. Steigende oder sinkende Textilverkäufe, massenweise Treibholz an der Küste, Überschwemmungen, Dürren, Preiserhöhungen – die Verantwortung für den größten Teil dieser Ereignisse trägt die Klimakatastrophe. Offenbar braucht die Welt immer einen Schurken, auf den man mit dem Finger zeigen und sagen kann:»Das ist alles nur deine Schuld!«
    Jedenfalls regnete es durch die Schuld dieses Schurken, dessen man nicht habhaft werden kann, unaufhörlich weiter, weshalb ich den ganzen Juli über kaum auf dem Rad trainieren konnte. Ich konnte nichts dafür. Der Schuft hat mich nicht gelassen. Doch in den letzten Tagen ist endlich die Sonne durchgekommen, und ich konnte mit meinem Rad ins Freie. Den stromlinienförmigen Helm festschnallen, die Sportsonnenbrille aufsetzen, die Wasserflasche füllen, den Geschwindigkeitsmesser einstellen und los.
    Das Erste, das man sich beim Radrennen merken muss, ist, den Körper nach vorn zu beugen, um dem Luftwiderstand auszuweichen. Dabei muss man das Gesicht heben und nach vorne schauen. Diese Haltung muss man unbedingt lernen. Aber sobald man es versucht, merkt man, dass es für einen Menschen, der nicht daran gewöhnt ist, äußerst schwierig ist, den Kopf wie eine Gottesanbeterin über eine Stunde lang in dieser Stellung zu halten. Nacken und Rücken protestieren schon nach kurzer Zeit. Wenn man müde wird, senkt man unwillkürlich den Kopf und blickt nach unten. Dann schlägt die lauernde Gefahr zu.
    Als ich für meinen ersten Triathlon trainierte und einmal 100 Kilometer am Stück fuhr, knallte ich frontal gegen einen von mehreren Eisenpfosten, die Pkw und Motorräder daran hindern sollten, den Fuß- und Radweg zu benutzen, der am Fluss entlangführt. Ich war erschöpft und unkonzentriert und versäumte es für einen Moment, das Gesicht nach vorne gerichtet zu halten. Ehe ich mich versah, flog ich buchstäblich durch die Luft und landete kopfüber auf dem Weg. Zum Glück schützte mich der Helm. Hätte ich ihn nicht getragen, wäre ich sicher schwer verletzt worden. Mein Vorderrad war völlig verbogen. Ich schlug mir die Arme ziemlich heftig auf dem Betonweg auf, aber ich hatte Glück und kam glimpflich davon. (Ich kenne einige Radfahrer, die schlimm aussahen nach so etwas.)
    Wer so etwas einmal am eigenen Leibe erfahren hat, der vergisst es so schnell nicht wieder. In vielen Fällen ist körperlicher Schmerz der beste Lehrmeister. Seither schaue ich immer vorwärts, auch wenn ich noch so erledigt bin. Damit ich ja nichts vor mir auf dem Weg übersehe. Aber natürlich leiden meine bedauernswerten Muskeln sehr darunter.
    Ich schwitze nicht. Nein, wahrscheinlich schwitze ich sehr wohl, nur dass der starke Wind den Schweiß rasch trocknet. Jedenfalls habe ich Durst. Wenn ich nicht trinke, bin ich bald dehydriert; dann kann ich nicht mehr klar denken. Ich trainiere nie auf dem Rad, ohne eine Wasserflasche mitzunehmen. Während der Fahrt nehme ich sie immer wieder aus der Halterung, trinke einen Schluck und befestige sie wieder. Ich arbeite daran, diesen Vorgang reibungslos und automatisch zu vollziehen und vor allem dabei weiter geradeaus zu

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