WoW 01 - Aufstieg der Horde
und sie durch die finsteren, mit Stacheln versehenen merkwürdigen Dekorationen ersetzt, die mittlerweile die Horde kennzeichneten. Das Gebäude hieß nun der Schwarze Tempel, und statt Priestern und Propheten war er das Heim von Lügnern und Verrätern. Und er, das gestand sich Ner'zhul ein, gehörte dazu.
Endlich war Gul'dan fertig. Er trocknete die Tinte mit Sand, lehnte sich zurück und sah seinen früheren Meister mit kaum verhohlener Abscheu an. »Adressiere sie und bring sie zu den Kurieren. Und beeil dich.«
Ner'zhul neigte den Kopf. Er konnte es immer noch nicht über sich bringen, sich vor seinem ehemaligen Schüler zu verbeugen. Und Gul'dan, der genau wusste, dass Ner'zhul keine Bedrohung mehr darstellte, bestand nicht darauf. Ner'zhul setzte sich in den Stuhl, den Gul'dan verlassen hatte, und als dessen schwere Schritte verklangen, begann er sofort zu lesen.
Gul'dan hatte gewusst, dass er die Briefe lesen würde. Und tatsächlich enthielten sie nichts, was Ner'zhul nicht ohnehin schon wusste. Er war eingeweiht in alle Treffen des Schattenrats, obwohl er gezwungen wurde, auf dem kalten Steinfußboden zu sitzen. Er war sich nicht sicher, warum ihm das erlaubt wurde, nur, dass Kil'jaeden es aus irgendeinem Grund so wollte. Wäre das nicht so, da war er sich sicher, hätte Gul'dan ihn sofort beseitigt.
Er überflog die Worte, und sie machten ihn krank. Er fühlte sich so hilflos wie eine Fliege, die in den dicken Saft, der aus den Olembabäumen lief, eingeschlossen wurde. Allerdings waren die Bäume, die den süßen Nektar absonderten, entweder gefällt worden, weil ihr Holz für die Produktion von Waffen benutzt wurde, oder sie starben einfach. Ner'zhul schüttelte den Gedanken ab und rollte die Botschaften zusammen. Seine Augen fielen auf den Stapel unbenutzten Pergaments und auf das Tintenfass samt Federkiel.
Der Gedanke war so dreist, dass sein Herz für eine Sekunde aussetzte.
Schnell schaute er sich um. Er war völlig allein, und es gab auch keinen Grund für Gul'dan, noch einmal zurückzukommen. Gul'dan, Kil'jaeden, der Rat, sie alle dachten, er – Ner'zhul – wäre endgültig gebrochen, so harmlos wie ein zahnloser Wolf, der seine alten Knochen am Feuer wärmte, bis er in den Schlaf des Todes glitt. Und sie hatten größtenteils Recht.
Größtenteils.
Ner'zhul hatte sich damit abgefunden, dass man ihm seine Kräfte genommen hatte. Seine Kräfte, aber nicht seinen Willen. Wenn ihm auch der genommen worden wäre, er wäre unfähig gewesen, Kil'jaeden zu widerstehen.
Ner'zhul konnte nicht direkt handeln. Aber es war vielleicht möglich, jemanden zu kontaktieren, der das konnte.
Seine Finger zitterten, als er ein Stück Pergament nahm. Er war für einen langen Moment gezwungen, sich selbst zu beruhigen, bevor er irgendetwas Lesbares schreiben konnte. Schließlich kritzelte er eine kurze Nachricht, trocknete die Tinte und rollte das Pergament zusammen.
Der Wolf war zahnlos. Aber der Wolf hatte nicht vergessen, wie man kämpfte.
Mehr Marschbefehle. Durotan hatte sie reichlich satt. Es gab keine Pausen mehr. Nur noch Kampf, Rüstung reparieren, hartes und sehniges Fleisch essen, auf dem Boden schlafen und dann wieder in eine neue Schlacht ziehen. Vorbei waren die Zeiten des Trommelns, Lachens, Feierns und der Rituale. Das perfekte Dreieck des Geisterbergs am Horizont wurde von dem dunklen, bedrohlichen Bild einer Bergspitze ersetzt, die immer wieder schwarzen Rauch ausstieß. Einige erzählten sich, eine Kreatur schliefe tief im Berg und dass sie eines Tages erwachen würde. Durotan wusste nicht mehr, was er glauben sollte.
Als der Kurier eintraf, nahm Durotan die Nachricht entgegen und begann gelangweilt zu lesen. Seine Augen weiteten sich jedoch mit jeder Zeile. Und als er am Ende angelangt war, schwitzte und zitterte er. Er schaute auf und fragte sich besorgt, ob jemand vom Inhalt des Briefes erfahren haben konnte, indem er ihn beim Lesen beobachtet hatte. Orcs liefen an ihm vorbei, Staub auf ihrer rauen, fleckigen Haut und den zerdellten Rüstungen, doch niemand schien ihn zu beachten.
Erlief zu Draka, der einzigen Person auf der Welt, der er diese Neuigkeit anvertrauen durfte. Ihre Augen weiteten sich, als sie las.
»Wer weiß sonst noch davon?«, fragte sie, darum bemüht, möglichst neutral zu schauen.
»Nur du«, sagte er leise.
»Wirst du Orgrim davon erzählen?«
Durotan schüttelte den Kopf. Sein Herz schmerzte. »Das traue ich mich nicht. Er ist Schwarzfaust
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