Wu & Durant 01 - Umweg zur Hölle
der Name Reginald Simms wohl stammte, und wenn er darauf auch keine Antwort fand, hielt er ihn trotzdem für einen Glücksnamen, da er eindeutig weder jüdisch noch italienisch war. Salvatore Gesini, dem seine italienische Abkunft ziemlich egal war, hatte sich oft gewünscht, einen andern Namen zu haben. Vor Jahren hatte er sich für Laurence Parnell entschieden, weil er irgendwie nobel klang, und manchmal bedeckte er ganze Bögen Papier damit, nur um zu sehen, wie es als Unterschrift wirkte.
Gesini wußte von Reginald Simms wenig genug. Er wußte, daß Simms vor gut einem Jahr aus dem Osten nach Pelican Bay geholt worden war, um nach dem Rechten zu sehen. Gesini wußte zwar nicht genau, was »nach dem Rechten sehen« praktisch bedeutete, aber er hatte eine ungefähre Vorstellung, die er nur darum nicht vertiefte, weil ihn Pelican Bay eigentlich nichts anging.
Trotzdem war er neugierig, warum Mr. Simms ausgerechnet ihn sprechen wollte. Er hegte keine Illusionen über seinen Platz in der Hierarchie. Bei einer Skala von eins bis hundert nahm er für sich vier, allenfalls sechs Punkte in Anspruch, der echte Erfolgsmensch kam nach diesem Schema auf neunundneunzig Punkte, der Versager auf höchstens einen.
Als das Schild PELICAN BAY – NEXT THREE EXITS auftauchte, hielt Gesini es für geboten, die Spur zu wechseln. Er machte das ohne Blinker und ohne auch nur einen Blick in den Rückspiegel zu werfen, und er war, wie stets, überrascht, daß wütend hinter ihm hergehupt wurde. Sollen die Scheißer doch aufpassen, wo sie fahren, schimpfte er und kurvte in die Abfahrt, die zur Park Avenue führte.
Als Pelican Bay vor gut neunzig Jahren gegründet worden war, hatte man es nach einem Reißbrettentwurf aufgebaut. Eine schmale Küstenstadt, die sich wie ein langer Finger in Los Angeles hineinbohrte. Folglich verliefen mehr Straßen von Norden nach Süden als von Osten nach Westen, was jedoch die nicht gerade für ihre Weitsicht berühmten Gründungsväter nicht davon abhielt, die Ost-West-Straßen zu numerieren.
Womit die Nord-Süd-Straßen ein echtes Problem aufwarfen, da sie Namen bekommen mußten. Man hatte das Problem anfangs dadurch zu lösen versucht, daß man ihnen die Namen von Staaten gegeben hatte. Nur wuchs und wuchs die Stadt, und die Namen von Staaten gingen den Stadtvätern aus, und so begann man, sich für die Hauptverkehrsstraßen die Namen anderer berühmter Straßen auszuborgen. Es gab plötzlich eine Park Avenue, eine Peachtree Street, eine Downing Street, eine Bourbon Street, auch einen Broadway, versteht sich, und eine Zeit lang sogar einen Kurfürstendamm, der aber 1917 in Champs-Élysées umbenannt wurde und heute Champ Street hieß, da kein Mensch Champs-Élysées aussprechen konnte.
Es gab keinen Park, der die Park Avenue schmückte, die nicht mehr vorzuweisen hatte als eine lange Kette angestaubter Bungalows mit Garage und Garagenauffahrt. Die geradezu auffällige Zahl von Wohnwagen auf den Auffahrten ließ die Vermutung zu, daß die Bewohner gern und möglichst oft aus Pelican Bay woandershin fuhren.
Gesini fuhr über die Park Avenue bis zur Fifth Street, eine der Verkehrsadern der Stadt. Er bog nach rechts Richtung Meer ab. Gesini brüstete sich gern mit seinem Talent, am Zustand einer Straße ihren Grad von Wohlstand abschätzen zu können. Fifth Street hatte eindeutig abgewirtschaftet, fand er.
Sie wurde von kleinen Geschäften gesäumt, mit gelegentlichen Einschüben von vier- und fünfstöckigen Bürogebäuden, deren auffälligstes Merkmal das Schild »Büroräume zu vermieten« war. Hier und da hatte sogar eine der lukrativsten Schnellimbiß-Ketten zugeschlagen und einen protzigen Schuppen installiert. Es gab Trödlerläden und Buchläden mit gebrauchten Büchern, in einem Block gleich vier Handleserinnen, von Gesini sogleich als Zigeunerinnen klassifiziert, dann eine hoffnungslos aussehende Ambulanz für Geschlechtskrankheiten, die ihrerseits von zwei Massagesalons flankiert wurde, und Bars, jede Menge Bars.
Die Leute sollten wenigstens ihre Scheißfenster putzen, fand Gesini. Mr. Wonderful lag am Lincoln Boulevard in Venice, eine unschöne Straße in einer unschönen Stadt. Aber Gesini hielt sein Unternehmen blitzblank und immer frisch gestrichen – nicht aus Bürgerstolz, sondern weil das gut fürs Geschäft war. Wenn es um Venice ging, kannte Gesini keinen Bürgerstolz. Zumal er in Brentwood wohnte.
Pelican Bay sah ein bißchen wohlhabender aus, als Gesini sich dem Meer
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