Wuensch dir was
förmlich überschlagen vor Freundlichkeit . Gleich zu Beginn, als ich an den Chrom-Empfangstresen trat, begrüßte mich die junge Dame dahinter mit einer Lautstärke, mit der sie sonst garantiert nicht sprach. Nur Altenpfleger reden so übertrieben laut und deutlich. Mit ohrenbetäubender Stimme klärte sie mich über die vorteilhafte Wirkung des Aprikosen-Körperpeelings auf, obwohl uns beiden sonnenklar war, dass ich mich nie und nimmer vor einem wildfremden Menschen entblättern würde. Die Kosmetikerin lachte über jede meiner Bemerkungen eine Spur zu herzlich,
und sobald ich auch nur einen Ton von mir gab, wenn sie meine Poren gar zu arg malträtierte, entschuldigte sie sich wortreich. Ich behaupte nicht, dass sie sich gegenüber anderen Kundinnen ganz anders verhalten hätte; ich will damit nur sagen, dass sie zu mir noch einen Tick liebenswürdiger war, weil sie noch nie einer Kundin über siebzig eine Gesichtsbehandlung verpasst hatte. Nachdem ich bezahlt hatte, musste ich dringend für alte Damen (dieser dämliche Zimmerbrunnen!), deshalb bat ich die Kosmetikerin und die Empfangsdame, die beide hinter dem Tresen standen, mir doch bitte zu zeigen, wo ich mir dort die Nase pudern konnte.
»DIE NASE PUDERN???«, brüllte die Empfangsdame, die mich wohl noch immer für taub hielt. Allmählich bekam ich gute Lust, sie darauf aufmerksam zu machen, dass das nicht der Fall war, doch das hätte bestimmt unhöflich gewirkt, und ich war, ehrlich gesagt, ohnehin etwas eingeschüchtert, also ließ ich es bleiben.
»Sie meint das WC. Die Toiletten«, gluckste die Kosmetikerin, als würde ich eine Fremdsprache sprechen. Tat ich ja auch – ich redete so, wie man in den fünfziger Jahren geredet hatte. Ich wusste, dass die Formulierung »ich gehe mir die Nase pudern« antiquiert klang, aber ich blieb trotzdem dabei. Ich drückte mich eben gern etwas gewählter aus. Bei »ich muss aufs Klo« dachte ich automatisch an eine schmuddelige öffentliche Bedürfnisanstalt.
Ich schweife schon wieder ab. Verzeihung.
Also, weiter im Text. Die Kosmetikerin meinte, sie würde mir den Weg zeigen, und bedeutete mir, ihr zu folgen.
Die Toiletten befanden sich im Umkleideraum; es gab eine normale und eine für Behinderte. Die Kosmetikerin ging auf eine der beiden Türen zu und hielt sie mir auf.
»Bitte sehr«, sagte sie, dann überlegte sie kurz, schloss die Tür wieder und öffnete die mit dem Behindertensymbol für mich.
»Vielleicht nehmen Sie besser die hier.«
Nun benutzte ich an sich ganz gern die Behindertentoiletten (wer nicht?), weil sie so schön geräumig sind. Aber in diesem Fall wurde mir die Benutzung der Behindertentoilette allein deshalb ans Herz gelegt, weil ich alt war. Es war offensichtlich; da konnte ich mir noch so oft einreden, es hätte andere Gründe. Dieser freundlichen, sanften Stimme bedienten sich die Leute nur, wenn sie sich an Kinder oder ältere Menschen wandten.
Ich wurde wegen meines Alters bedauert, und das tat weh, so liebenswürdig man mich auch sonst behandelt hatte. Ich war nie wieder in diesem Schönheitssalon. Eine Weile konnte ich nicht einmal die Straße langgehen, in der er sich befindet. Ich hatte den Verdacht, dass sich die beiden jungen Frauen über mich lustig machten, als ich gegangen war, nach dem Motto: Wozu will eine vertrocknete, verschrumpelte (und
zwar trotz Facelifting, Botox und Restalyne) alte Schachtel wie die eine Gesichtsbehandlung? Wirklich zu schade, das Ganze. Eigentlich war die Behandlung nämlich sehr angenehm.
Von da an ging ich wieder in meinen Schönheitssalon in der Vorstadt, in dem ich mich ohnehin viel wohler fühlte. Dort gab es bequeme Sofas, die Wände waren rosa gestrichen, und Shelia, meine Kosmetikerin, kannte mich schon eine halbe Ewigkeit. Ich ging auch seit Jahren zum selben Friseur. Es gab zwar ein paar Salons in meiner Straße, aber die wirkten alle so schrecklich exklusiv. Ich hatte irgendwann bei einem von ihnen einen Blick durchs Schaufenster riskiert, als ich mir mal wieder die Haare waschen und legen lassen wollte, und mit Entsetzen festgestellt, dass die Kunden auf Hockern ohne Lehne saßen statt auf normalen Friseursesseln. Ist das zu fassen? Natürlich war weit und breit kein Mensch über fünfzig zu sehen. Kein Wunder. Nur junge Leute können länger als zehn Minuten auf einem Hocker sitzen.
»Ich finde, du solltest dir die Haare stufig schneiden lassen, damit sie ein bisschen fedrig wirken«, bemerkte Lucy, als wir das Haus
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