Würde - Roman
überschütteten Amanda mit Lob und erklärten, dass sie solch ein Kunstwerk auf keinen Fall zerstören könnten. Ohne zu zögern, fuhr Richard mit dem Messer mitten durch die Fratze. Er spürte, dass Amanda den Blick auf ihn gerichtet hatte, sah aber nicht auf, sondern konzentrierte sich darauf, einen sorgsam errichteten Stapel Bohnen mit einem Hieb zu durchschneiden.
Wieder versuchte er, seine Gedanken zu sammeln. Er stellte sich die Menschen vor, die draußen in Kapstadt ihren Abend verbrachten, voneinander getrennt und doch alle Teil derselben Stadt. Eine Stadt, die ihn bisher im Grunde wenig berührt hatte. Da gab es Svritsky - Richard fragte sich zum ersten Mal, ob der Russe eigentlich eine Familie hatte - und den Mosambikaner in der Bar, die Masseurin, den Motorradfahrer und all diejenigen, die unbeachtet an ihm vorbeigeeilt waren. Sein Horizont schien sich schlagartig derart geweitet zu haben, dass er kaum noch
wusste, wie er an sich halten und weitermachen sollte wie bisher.
»Ich bin vor einiger Zeit in einer interessanten Bar gewesen«, meinte er zu David gewandt, merkte aber, dass auch Coetzee zuhörte. »Ich war der einzige Weiße.« David legte seine Gabel beiseite und sah ihn aufmerksam an. »Irgendwie hat mich dieser Besuch dazu gebracht, darüber nachzudenken, was es heißt, Afrikaner zu sein. Was es bedeutet, in diesem Land zu leben, das wir unsere Heimat nennen.« Er hielt inne, füllte Coetzees Glas nach und warf ihm dabei einen Blick zu. »Der Barbesuch warf einige schwierige Fragen für mich auf …«
Coetzee schnaubte und schob sich eine Gabel voll Essen in den Mund.
»Was für Fragen?«, wollte David wissen.
Richard stellte erleichtert fest, dass Amanda ihm inzwischen nicht mehr ihre Aufmerksamkeit schenkte, sondern angeregt mit Kristi sprach. Cynthia sah ihn an, aber es war nicht klar, ob sie überhaupt zuhörte.
»Ach, weißt du, Fragen wie die, was wir wirklich über das Leben in Afrika wissen«, erwiderte er. »Und wer die Immigranten in diesem Land tatsächlich sind …«
»T… I… A«, unterbrach Coetzee Richards Überlegungen mit lauter Stimme. »Sie wissen schon: ›This is Africa.‹ Es gibt keine Lösung, Boet . Nur das Problem. Und die einzige Antwort darauf lautet: TIA. Das ist alles, Boet. Nicht mehr und nicht weniger.«
Richard konnte kaum noch an sich halten. »Ach, bitte«, erwiderte er ungestümer, als er es eigentlich vorgehabt hatte. »Das ist doch ein wirklich total dämlicher Spruch.«
Seine Stimme hallte laut im Raum wider. Amandas Besteck fiel klirrend auf ihren Teller, woraufhin jemand an ihrem Ende des Tisches einen leisen Schreckensschrei ausstieß. Cynthia hielt mitten
im Greifen nach ihrem Glas inne und sah aus, als müsste sie sich jeden Moment übergeben. Raine hatte sich auf der Couch zu ihnen umgedreht und beobachtete die kleine Gesellschaft zum ersten Mal mit einem gewissen Interesse.
»Es ist nur so… Ich weiß nicht«, fuhr Richard gereizt fort. »Das ist doch nur irgendein beschissener Spruch aus Hollywood. Die Leute halten das für cool, weil es ein Idiot wie DiCaprio oder sonst jemand von sich gegeben hat. Aber was zum Teufel soll das heißen? Was zum Teufel weiß er oder was wisst ihr über diesen Kontinent? Schert ihr euch denn überhaupt um Afrika?«
Coetzee war rot angelaufen. Die Venen an seinen Schläfen pochten. Richard befürchtete einen Moment lang, dass ihm sein Gast den Wein ins Gesicht schütten oder ihm eine Ohrfeige verpassen könnte. Er ertrug es nicht länger, mit diesem Mann am selben Tisch zu sitzen. Natürlich wusste er, dass es angebracht wäre, sich zu entschuldigen. Er spürte, wie dringend seine Frau eine Entschuldigung von ihm hören wollte. Schon bald würden ihre unausgesprochenen Erwartungen wie eine Leine an ihm reißen. Er hatte das Gefühl, jeden Augenblick vor Wut zu explodieren.
Sein Stuhl kratzte laut über den Parkettboden, als er aufstand. »Tut mir leid - ich meinte natürlich uns alle«, fügte er hinzu. »Was wissen wir schon von diesem Kontinent … Aber jetzt brauche ich erst einmal frische Luft.« Er ging an den schweigenden Gästen vorbei, schob die Terrassentür auf und trat nach draußen in die kühle Nachtluft. Keiner der anderen folgte ihm.
Einen Moment lang herrschte angespannte Stille im Raum. Dann erklang Amandas zerknirscht klingende Stimme. »Mein Gott, Ryno. Es tut mir leid. Ich habe keine Ahnung, was mit ihm los ist. Achten wir einfach nicht auf ihn.«
Es folgte ein unverständliches
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