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Würde - Roman

Titel: Würde - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: PeP eBooks
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verschiedenen Fernsehkanälen hin und her. Den Ton hatte sie ausgeschaltet. Amanda hatte ihr verboten auszugehen und darauf bestanden, dass sie am Essen teilnahm, um Coetzees Frau kennenzulernen. Vor dem Abendessen war Raine tatsächlich von Kristis Jugend und Ausstrahlung fasziniert gewesen, hatte im Schneidersitz auf der Couch gesessen und sich mit ihr über Make-up und erfolgreiche Diäten unterhalten. Doch nachdem die Erwachsenen am Tisch Platz genommen hatten, verlor sie das Interesse und
schmollte. Amanda hatte verstohlen Raines Gedeck abgeräumt. Nun strafte sie ihre Tochter mit Missachtung.
    Richards Beziehung zu seiner Tochter war nie einfach gewesen. Sie behandelte ihn mit wohlwollender Geringschätzung, als ob sie ihn als zu schwach befände, ihre Welt zu betreten. Meist betrachtete sie ihn wie einen merkwürdigen Außenseiter, der ihr niemals zu nah kommen durfte, aber notgedrungen geduldet wurde. Selbst als kleines Mädchen hatte sie ihn getadelt, ihn als dumm und hoffnungslos bezeichnet. Ihre altkluge Art war ihm zunächst liebenswert erschienen, doch sie prägte von Anfang an ihr Verhältnis zueinander und stellte sich bald als unüberwindbares Hindernis zwischen ihnen heraus.
    Jetzt, im Teenageralter, wirkte ihre Ablehnung weniger verspielt. Richards Funktion als Vater bestand ausschließlich in seiner Kontrolle über das Geld, das sie bekam. Es war zwar eine materialistische und höchst unbefriedigende Beziehung, die sie miteinander verband, doch zumindest spielte er auf diese Weise noch immer eine gewisse Rolle im Leben seiner Tochter.
    Raines Haltung ihrer Mutter gegenüber war völlig anders. Die beiden standen in einer echten Verbindung zueinander, stritten sich aber auch immer wieder heftig. Wenn sie etwas zu besprechen hatten, so geschah das oft flüsternd und manchmal sogar hinter verschlossenen Türen. Hie und da kam Richard unbeabsichtigt in ein Zimmer, in dem sie miteinander redeten, und wurde dann ungeduldig verscheucht, als wäre er ein ungebetener Eindringling.
    Raine reagierte heftig auf ihre Mutter und konnte allein durch deren Tonfall, eine nebensächliche Bemerkung oder eine angeblich unpassende Frage völlig aus dem Häuschen geraten. Dann knallten Türen, und die beiden schrien sich an, nur um einander schließlich schluchzend in den Armen zu liegen.
Richard schlich währenddessen auf der Suche nach einem Zufluchtsort nervös durchs Haus.
    Im Gegensatz zu dieser Mutter-Tochter-Beziehung war sein unpersönliches Verhältnis zu Raine einfach und ohne Herausforderungen. Trotzdem beneidete er Amanda um die leidenschaftlichen Auseinandersetzungen, die sie immer wieder mit ihr hatte. Ihn schien Raine nicht einmal ernst genug zu nehmen, um seine Gegenwart überhaupt als störend zu empfinden.
    Ein paar Stunden zuvor hatte Richard den selbstmörderischen Wunsch verspürt, seiner Tochter von der verbotenen Massage zu erzählen. Sobald er zu Hause eingetroffen war, die Haut noch immer weich von dem Öl, mit dem ihn Abayomi eingerieben hatte, wäre er am liebsten zu Raine gegangen und hätte sich ihr anvertraut. Er hatte vor ihrer Zimmertür gestanden, ihr dabei zugesehen, wie sie ihr Haar föhnte, und sich vorgestellt, wie er ihr das Ganze erzählen würde. Er würde die Frau als seine wundervolle Geliebte einführen. Seine riskante Untreue würde Raine schockieren, aber ihr vielleicht auch endlich Respekt für ihn abverlangen. Er stellte sich vor, wie sie ungläubig ihre Augen aufreißen - »Nein, Daddy, das kann nicht sein. Du doch nicht!« - und dann beeindruckt lachen würde. Vielleicht würde sie ihm auch einen High five anbieten, so wie sie das mit ihren Freunden oft tat.
    Er wusste, dass dieser Wunsch, sich anzuvertrauen, sein Geheimnis zu enthüllen, nicht nur unvernünftig war, sondern auch ein Zeichen dafür, wie sehr die scheinbare Stabilität seiner Welt bereits ins Wanken geraten war. Er fühlte sich auf einmal waghalsig. Doch als Raine bemerkt hatte, dass er sie beobachtete, hatte sie eine genervte Grimasse geschnitten. »Spanner«, hatte sie gemurmelt und gegrinst. Er hatte ebenfalls gelächelt, unsicher, und sich dann schweigend zurückgezogen.
    Richard kehrte an den Tisch und zu seiner erst zur Hälfte gegessenen
Suppe zurück. Die rote klebrige Flüssigkeit befleckte das weiße Porzellan wie Blut. Gedankenverloren und wie durch einen Schleier beobachtete er Coetzee, der sich weiterhin lautstark über etwas ausließ. Hie und da nickte Richard zustimmend und schenkte

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