Würfelwelt (German Edition)
Wirbel aus schwach violett leuchtenden Blasen umgeben. Wie hypnotisiert starre ich sie an.
Etwas Böses geht von diesen Augen aus.
Mir wird übel. Ein Bild entsteht in meinem Kopf.
„Ich ... ich kenne diese Augen!“, stammele ich.
„Sieh nicht weg!“, sagt Gronkh. „Sieh auf keinen Fall weg, hörst du? Solange du ihm in die Augen siehst, bewegt er sich nicht!“
Ich höre seine Schritte auf der Treppe hinter mir. „Wo gehst du hin?“, rufe ich. „Lass mich nicht allein mit diesem Ding!“
„Keine Sorge, ich bin gleich zurück! Solange du nicht wegguckst, passiert dir nichts.“
Ich versuche, dem Blick standzuhalten. Ich beginne, am ganzen Körper zu zittern.
„Was hat sie dir gesagt?“, fragt eine Stimme in meinem Kopf.
Ich bin weit weg, an einem hellen Ort. Weiße Wände, ein Schreibtisch mit Computer, eine Liege, auf der Krepppapier ausgebreitet ist.
Er trägt einen weißen Kittel. Das freundliche Lächeln, mit dem er mich eben noch gefragt hat, was er für mich tun kann, ist verschwunden. Seine grauen Augen durchbohren mich.
Ich will wegsehen, aber ich darf nicht.
Irgendwo in meinem Kopf müssen sie doch sein, die Worte, die ich mir so sorgfältig zurechtgelegt hatte. Doch ich finde sie nicht. Es ist, als sauge dieser Blick meinen Willen aus. „Sie hat gesagt ... dass Sie ... dass Sie sie misshandelt haben ...“
Misshandelt war nicht das, was ich sagen wollte. Missbraucht lautete das Wort.
Der Arzt lacht laut auf, als hätte ich einen guten Witz gemacht. „Ich soll Amelie misshandelt haben? Meine eigene Tochter?“
Ich spüre, dass die Fröhlichkeit nur aufgesetzt ist. „Sie ... sind nicht ihr richtiger Vater“, bringe ich heraus.
„Ich habe ihre Mutter geheiratet, als Amelie sieben Jahre alt war“, sagt er mit ruhiger Stimme. „Ich habe sie aufgezogen wie meine eigene Tochter, glaub mir das. Auch, als ich merkte, dass sie ... anders ist.“
Seine Hand legt sich auf meine Schulter wie der Fangarm eines Monsters aus dunklen Träumen. Ich will sie abstreifen, aber ich kann mich nicht rühren.
„Amelie leidet unter paranoider Schizophrenie“, sagt er in jenem sanften Tonfall, in dem Ärzte Patienten mitteilen, dass sie nur noch wenige Monate zu leben haben. „Du weißt, was das ist?“
Ich bringe keinen Ton heraus.
„Schizophrenie ist viel weiter verbreitet, als die meisten Menschen glauben“, erklärt der Doktor. „Man schätzt, dass in Deutschland bis zu zwei Millionen Menschen daran leiden. Schizophrene haben Schwierigkeiten, ihre Innen- und Außenwelt klar voneinander zu trennen. Das bedeutet zum Beispiel, dass sie ihre eigenen Gedanken wie Stimmen von außen wahrnehmen, oder wie Erlebnisse, die wirklich geschehen sind. Sie glauben, dass zufällige Ereignisse nur ihretwegen passieren. Deshalb haben sie oft das Gefühl, dass sich die Welt gegen sie verschworen hat.“
„Amelie ist nicht verrückt!“, werfe ich ein.
Er übergeht meinen Einwand. „Ich habe ihre Krankheit bereits im Alter von neun Jahren diagnostiziert. Ihre Mutter und ich haben immer versucht, ihr ein normales Leben zu ermöglichen, sie auf eine gewöhnliche Schule geschickt. Sie hat Medikamente bekommen. Eine Zeitlang ging es gut. Aber in letzter Zeit haben sich die Halluzinationen gehäuft. Vielleicht ist es die Pubertät, die ihren Zustand verschlimmert, oder sie nimmt ihre Pillen nicht mehr regelmäßig. Ich fürchte, wir werden sie nicht weiter auf deine Schule gehen lassen können.“
Ich denke daran, wie sie dort stand, am Rand des Schulhofs, allein. Immer war sie allein.
Ich habe versucht, sie anzusprechen. Sie hat mich weggeschickt. Doch je öfter sie mich zurückwies, desto mehr habe ich gespürt, dass etwas nicht stimmt. Dass sie eine Last trägt, die zu schwer ist für einen einzelnen Menschen.
„Bitte, geh!“, hat sie gesagt. Immer wieder.
Ich bin gegangen, habe sie niemals bedrängt. Aber ich bin immer wieder zu ihr gekommen. Ich wollte ihr zu verstehen geben, dass sie mir nicht egal ist. Dass ich da bin, um zuzuhören, sobald sie bereit ist, sich zu öffnen.
Irgendwann hat sie mir erzählt, was sie erlebt hat.
„Sie lügen!“, antworte ich, obwohl sich Zweifel in mir regen. Was, wenn all ihre schrecklichen Erlebnisse bloß Halluzinationen waren?
Die Milde in seinem Gesicht wird von eisiger Härte verdrängt. „Du wagst es, unter einem Vorwand in meine Praxis zu kommen und mich zu beschuldigen!“ Seine Stimme ist ruhig, kalt, drohend. „Ich muss mir das nicht länger
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