Würfelwelt (German Edition)
einmal meinen Kopf drehen. Es fühlt sich an, als sei ich in einem Körper gefangen, der nicht meiner ist.
Über mir erkenne ich ein ovales Etwas mit Flecken. Ein Gesicht? Eine verwaschene Hand hält etwas vor mich, ein grelles Licht flammt auf.
„Irgendeine Reaktion, Doktor?“ Die Stimme kommt mir vertraut vor. Doch das Wort Doktor verursacht mir Unwohlsein.
„Normale Kontraktion der Pupillen. Ein Reflex, mehr nicht. Keine Veränderung bisher.“
Ich höre so etwas wie ein Stöhnen, ein kleiner, kläglicher Laut. Ein Stück Hoffnung ist gestorben.
Ich bin hier, will ich rufen. Seht ihr mich denn nicht? Doch ich sinke in einen dunklen Schacht. Verzweifelt versuche ich, mich an dem Bild festzuhalten, aber ich habe weder Arme noch Beine. Die Helligkeit über mir schrumpft zu einem winzigen Punkt. „Hilfe!“, schreie ich. „Hilfe! Bitte holt mich hier raus! Lasst mich nicht allein!“
„Nun brüll doch nicht so!“ Gronkhs Kastengesicht ist ausdruckslos wie immer, aber in seiner Stimme liegt Verdruss. „Wieso machst du so ein Geschrei?“
Ich verlasse das Bett. „Tut ... tut mir leid“, stammele ich, immer noch erschüttert von der Erfahrung. „Ich ... ich hab schlecht geträumt.“ War das wirklich bloß ein Traum? Es kam mir so wirklich vor!
„Geträumt?“, fragt Gronkh, als sei das etwas Unanständiges.
Ich gehe nicht weiter darauf ein. Stattdessen laufe ich schnurstracks auf die Wand zu und prügele mit bloßen Armstümpfen darauf ein. Nicht, dass ich mir davon einen konstruktiven Beitrag zur Lösung unserer Situation erhoffe. Es ist eher das frustrierte Gegen-die-Wand-Trommeln des lebenslänglich Eingesperrten, der zum ersten Mal die Ausweglosigkeit seiner Situation versteht.
„Hör auf! Ich hab dir doch gesagt, Bedrock ist unzerstörbar!“
Ich höre auf. Der feine Riss, der in dem Steinwürfel vor mir entstanden ist, verschwindet wieder.
Ich wende mich Gronkh zu. „Bist du sicher?“
„Na klar bin ich sicher!“, sagt er, doch im selben Moment scheinen ihn Zweifel zu befallen. Er nimmt eine Spitzhacke, die aus bläulichem Kristall besteht, und beginnt, auf die Wand einzudreschen. Nicht die kleinste Veränderung ist zu erkennen.
„Komisch“, sage ich.
„Was ist daran komisch? Bedrock ist nun mal unzerstörbar. Das ist Absicht, damit die Designer von Dungeons etwas haben, womit sie die Spieler am Schummeln hindern können.“
„Bei mir ist gerade ein Riss erschienen, als ich gegen die Wand getrommelt habe.“
„Blödsinn!“
„Nein, wirklich. Als ich aufgehört habe, ist er wieder verschwunden. Ich zeig’s dir.“ Ich prügele auf die Wand ein, doch es geschieht nichts. „Merkwürdig. Eben ist dabei ein Riss entstanden. Ehrlich!“
„Das bildest du dir ein.“
„Tu ich nicht.“
„Tust du doch. Wir kommen hier nicht mehr raus.“
„Und was jetzt?“
„Ich werde die Mod noch mal neu installieren und den Server neu starten.“
„Was?“
„Vergiss es einfach. Du wirst dein Gedächtnis verlieren und wieder dort spawnen, wo du ganz am Anfang gewesen bist.“
„In dem Steinhaus?“
„Nein. Das Steinhaus wird nicht existieren. Die Welt wird wieder völlig unberührt sein. Aber was erzähle ich dir das? Du weißt es ja schließlich. Wir können mit der Scharade aufhören. Dieses Desaster kann ich sowieso niemandem zeigen.“
Aus irgendeinem Grund bekomme ich plötzlich Angst. „Tu das nicht“, sage ich leise.
„Wieso nicht?“
„Ich ... ich will nicht schon wieder mein Gedächtnis verlieren! Ich will nicht mehr von vorn anfangen.“
„Hast du eine bessere Idee?“
Ich starre die Wand an. Ich denke an die kalten Augen des Arztes, sein falsches Lächeln, an Amelies weinendes Gesicht, an den seltsamen Traum heute Nacht. Ich habe die Nase voll von diesem ganzen Unsinn!
Ich beginne, auf die Wand einzuschlagen. Je mehr ich zuschlage, umso größer wird meine Wut. Das Trommelfeuer meiner Armstümpfe wird zum Stakkato.
„Das ... das gibt’s doch nicht!“, ruft Gronkh aus.
Ich ignoriere ihn. Ich habe ohnehin genug von seinen Kommentaren, der Art, wie er ständig zu irgendwelchen unsichtbaren Leuten spricht. Ich will nur hier raus!
Ich höre das Lachen des Arztes in meinem Kopf: „Ich soll Amelie misshandelt haben? Meine eigene Tochter?“ Ich will ihm dieses Grinsen aus dem Gesicht prügeln! Ich hole aus und schlage mit meinem ganzen Wesen zu.
Ein lautes Knacken ertönt. Erschrocken halte ich inne. Ein tiefer Sprung ist in dem Steinwürfel vor mir
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