Würfelwelt (German Edition)
ein pinkfarbenes Kleid. Sie hat nicht die geringste Ähnlichkeit mit meiner Mutter, doch ihre Stimme ist unverwechselbar.
„Endlich kommst du nach Hause, Marko!“, sagt sie.
„Das hier ist nicht mein Zuhause“, stelle ich fest.
„Wie kannst du so etwas sagen, mein Junge?“ Sie klingt ein wenig enttäuscht. „Lass mich dich umarmen!“
Sie kommt näher, breitet ihre Kastenarme aus und legt sie um mich. Trotz ihres eckigen Aussehens fühlt sich ihr Körper weich und warm an. Ich kann ihren Duft riechen. Der Drang, ganz in ihren Armen zu versinken, mich ihr anzuvertrauen, ist überwältigend.
Ich löse mich von ihr. „Wer bist du?“
„Was soll die Frage? Ich bin deine Mutter, Marko!“
„Wohl kaum. Du existierst nur in meiner Fantasie.“
„Unsinn, mein Junge. Du spielst zu viele Computerspiele!“
„Wir sind in einem Computerspiel. Besser gesagt in einem Traum davon.“
Sie übergeht meinen Einwand, wie sie es oft tut. „Nun iss erst mal was, und dann ruhst du dich aus. Es war ein anstrengender Tag.“ Sie hält mir eine Schüssel mit braunem Brei hin, der verführerisch nach Spaghetti Carbonara duftet. Es ist ihr Spezialrezept – mit viel Sahne, frischem Ei, gewürfeltem mildem Speck und einer Prise Muskat.
Ich habe eigentlich keinen Hunger. Trotzdem nehme ich die Schüssel entgegen und esse. Es schmeckt köstlich.
Plötzlich befällt mich eine so starke Sehnsucht nach meinem Zuhause, dass ich weinen muss.
„Aber du bist zuhause!“, sagt meine Kastenmutter, als hätte sie meine Gedanken gelesen. „Nun ruh dich erst einmal aus!“ Sie zeigt auf eines der Betten.
Eigentlich bin ich nicht müde, aber die Vorstellung ist verlockend. Außerdem hätte es den Vorteil, dass ich meinen Spawnpoint hierher verlagern würde. Dennoch empfinde ich ein vages Gefühl des Unwohlseins. Etwas stimmt hier nicht.
„Was hast du denn?“, fragt meine Mutter. „Gefällt es dir hier nicht?“
„Tut mir leid, aber ich muss weiter.“
„Jetzt? Mitten in der Nacht? Das ist doch viel zu gefährlich! Denk an den Enderman!“
Ihr drohender Unterton schürt mein Misstrauen. „Mit dem komme ich schon klar. Ich habe eine Diamantrüstung und eine Menge Heiltränke!“
Sie lacht hell. „Sei nicht albern, mein Sohn! Niemand kann den Enderman besiegen!“
„Ich habe ihn schon einmal besiegt. Ich werde es wieder schaffen.“
„Ja, morgen vielleicht“, sagt sie sanft. „Aber erst wird geschlafen!“ Sie streckt ihren Arm aus und berührt mich an der Schulter. Eine tiefe Müdigkeit erfasst mich.
„Ich ... ich muss jetzt ...“ Ich weiß nicht mehr genau, was muss.
„Leg dich hin und mach die Augen zu, mein Schatz. Alles wird gut!“
Ich konzentriere mich auf Amelies Gesicht. „Ich kann nicht. Ich muss weiter!“
„Kommt nicht infrage“, sagt sie mit dieser Stimme, die sie immer benutzt, wenn sie keine Diskussion zulässt. „Erst wird geschlafen!“
„Nein!“ Ich mache einen Schritt auf die Leiter zu.
Sie verstellt mir den Weg. „Du kannst jetzt nicht da raus! Denk an die Monster!“
„Lass mich durch!“
„Du bist noch viel zu jung, um so lange aufzubleiben! Du gehst jetzt sofort ins Bett!“ Ich spüre, dass sie kurz davor ist, richtig wütend zu werden.
„Geh mir aus dem Weg!“
„Ich bin immerhin deine Mutter!“
„Das bist du nicht. Meine Mutter wartet in der Wirklichkeit auf mich. Und genau da gehe ich jetzt hin. Lass mich durch!“
„Marsch ins Bett!“, zischt sie. Ihr Gesicht färbt sich grün und ihr Körper schwillt an, als platze sie gleich vor Wut. Sie sieht beinahe aus wie ... ein Creeper!
Ich schaffe es noch, zwei Schritte rückwärts zu machen, bevor meine Mutter explodiert. An der Stelle, wo sie eben noch stand, ist jetzt ein Loch im Fußboden. Der Sternenhimmel schimmert durch ein großes Loch im Dach. Unnghs und Klicklaute erklingen von draußen.
Ich trinke einen Heiltrank, springe nach unten und verlasse das Haus.
War die Straße in der Abenddämmerung noch wie ausgestorben, so ist sie nun belebt. Nein, das ist der falsche Ausdruck. Dutzende Zombies und Skelette spazieren durch die Nacht. Sie tragen bunte Kleidung, ein paar haben sogar viereckige Hüte auf. Zwischen ihnen tollen kleinere Exemplare herum - untote Kinder.
Auf der anderen Straßenseite öffnet sich eine Tür und ein Skelett tritt heraus. Dass die Monster durch Türen gehen können, lässt mich schaudern.
Doch die Untoten beachten mich gar nicht. Hin und wieder stoßen sie Unnghs und Klicklaute
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