Wuestenmond
gefällt.«
Er reichte mir die Thermosflasche. Ich trank lange und gierig. Meine Kehle war trocken, als hätte ich Sand geschluckt. Mir kam in den Sinn, daß ich ähnliches bereits früher erlebt hatte. Gewisse Warnsignale, gewisse Vorahnungen, die ich nur dann beachtet hatte, wenn sie sich allzu deutlich zeigten. Sie waren mir unangenehm gewesen, zudringlich, im Weg. Ich hatte sie auf ein allzu empfindliches Gemüt zurückgeführt, auf eine Neurose. Und bisher hatte ich mich gescheut, nicht nur davon zu reden, sondern sogar daran zu denken. Ich wischte mir mit dem Handrücken über das 295
Kinn.
»Bist du überrascht?« fragte Elias.
»Ein wenig aus den Fugen. Ich verstehe die Sache nicht ganz.«
»Die Geister haben hier ein besonderes Energiefeld geschaffen.
Deswegen ist es leicht, sie zu sehen.«
»Ich weiß nicht, was du mit mir gemacht hast, Elias«, erwiderte ich halb verwirrt, halb verärgert. »Eine Art Hypnose, nehme ich an. Du bist ganz schön durchtrieben!«
Er schüttelte den Kopf.
»Man muß diese Dinge im Blut haben.«
»Ich glaube, ich habe einen Sonnenstich.«
Fältchen zeigten sich in seinen Augenwinkeln.
»Ich kenne dieses Gefühl. Bei Erwachsenen ist es immer schwieriger als bei Kindern.«
Ich gab es zu.
»Ja, Kinder haben eine gesunde Neugierde.«
»Und noch keinen Verstand, der ihnen im Weg ist.«
Benommen tastete ich nach den Zigaretten.
»Es war alles so wirklich. Ich konnte so klar sehen. Und sogar Geräusche hören.«
»Das gehört dazu«, sagte er.
Ich rieb mir die Stirn.
»Ob Olivia wohl auch solche Dinge erlebt?«
Er nickte.
»Ich denke, ja.«
Ich dachte an ihre Schilderung von Chenanis Tod.
»In Aoulef verbrachte sie die Nacht auf dem Grab meines Vaters. Sie sagte…«
Ich spürte Schüttelfrost am ganzen Körper. Elias ließ mich nicht aus den Augen.
»Ja?« fragte er ruhig.
»Sie sagte, daß… daß sich etwas ereignet hatte.«
Er lächelte mit großer Offenheit und Wärme.
»Siehst du nun?«
»Aber was, Elias? Was hat sie gesehen?«
Er legte mir den Arm um die Schultern.
»Sie wird es dir nicht sagen. Sie wird auch nie darüber sprechen.
Solche Dinge, siehst du, sind extrem persönlich. Sie geschehen tief im Herzen, auf heiligem Grund. Das, was sie erlebt hat, ist ganz bestimmt eins dieser Dinge…«
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Ich steckte mir die Zigarette zwischen die Lippen. Elias gab mir Feuer, hielt meine zitternden Hände. Ich nahm einen tiefen Zug. Aus meinem halb geöffneten Mund kräuselte sich Rauch. Ich sagte:
»Und Amenena, weiß sie bereits… daß ich diese Fähigkeiten habe?
Will sie mich deswegen sehen?«
Er hob meine Hand an seine Lippen, streichelte sie mit einem warmen Kuß, jetzt wieder ganz heiter.
»Ich denke schon, daß sie es weiß. Und – ja: Genau deswegen will sie dich sehen.«
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28. Kapitel
D ie Gegend wurde zunehmend felsig. Die Mehara schritten behutsam über scharfe Steinsplitter und schlackenartiges Geröll. Das Wadi Tit löste sich zwischen den Felsen in zahlreichen ausgetrockneten Nebenarmen auf, bis sich die Schlucht allmählich öffnete und den Blick auf eine weite, von Büschen bewachsene Ebene freigab. Zerklüftete Gebirgshänge, die im milchigen Licht wie bewegliche Stoffbahnen aussahen, begrenzten den Horizont.
Elias zügelte seinen Falben.
»Hier bin ich geboren worden.«
Meine Augen schweiften umher, suchten vergeblich die Spuren einer Siedlung, und kehrten fragend zu Elias zurück.
»Das ist die Ebene von In Adjer. Einst befand sich hier das Königslager.«
Elias’ kehlige Stimme klang plötzlich fast heiser. Ich starrte ihn an.
»Hier? Aber früher war doch alles ganz anders!«
Im gleichen Atemzug erinnerte ich mich an das, was ich von Olivia wußte, und setzte erregt hinzu: »Seit wann besteht das Lager nicht mehr?«
Mit einem Druck seiner Zehen setzte Elias seinen Falben in Bewegung. Erschüttert und sprachlos ließ ich meine Stute neben ihm im Schritt gehen.
»Es war der ideale Ort«, sagte Elias. »Wir hatten das beste Wasser.
Die Kamele fanden so viel Gras, daß sie fett wurden. Heute dringen die Dünen immer weiter vor.«
Ich sah, wie die rötlichen Sandwellen sich zwischen die Felsen schoben. Die vom Wind geformten Kämme bildeten hohe Bögen mit messerscharfen Kanten. Mir war, als ob Himmel und Wüste sich vereinten. Wenn der heiße Wind stürmte, fegten Sandkörner empor und stachen wie Dornen. Ich spürte Kopfschmerzen, wie damals in der Höhle. Die Feindseligkeit des Ortes war bedrückend. Ich war
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