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Wuestenmond

Wuestenmond

Titel: Wuestenmond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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die Kanne wieder auf. Dann ließ er den Tee in die kleinen Gläser laufen.
    Inzwischen kam mein Kreislauf ganz schön in Fahrt. Ich sagte zu Zara:
    »Olivia bereitet manchmal Minztee zu. Aber er schmeckt nicht so gut wie dieser.«
    Zara sah zu Boden. Ihr Lächeln verzerrte sich.
    »Die Briefe für Olivia… wenn du wüßtest, welches Kopfzerbrechen sie mir bereiten.«
    »Tatsächlich?«
    Sie hielt ihren Kopf zur Seite geneigt und rieb ihre Schulterblätter an der Wand. Sie mußte immer an der gleichen Stelle sitzen, denn der Gips hinter ihr hatte bereits eine dunkle Färbung angenommen.
    »Du kannst es nicht ahnen! Als Aflane noch lebte, hatte er viel Geduld mit mir. Ich ließ ihn von vorn anfangen, immer und immer wieder. Es war einfach nie so, wie ich es gerne gehabt hätte…«
    Sie hielt plötzlich inne. Ich beugte mich vor.
    »Großmutter, ich habe dich nicht verstanden. Was hast du eben gesagt?«
    Sie zog die Brauen zusammen, legte die Finger auf die geschlossenen Augen. Ihr ausdrucksvolles Gesicht erstarrte wie zu Stein.
    »Aflane ist tot«, sagte sie dumpf.
    Mein Gaumen wurde trocken. Ich flüsterte:
    »Es tut mir leid… das habe ich nicht gewußt.«
    Sie bewegte den Kopf, als wäre sein Gewicht zu schwer zu tragen, und zog den Schleier tief in die Stirn.
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    »Er starb im Gefängnis. Herzversagen. Elias hat es mir gesagt.«
    Sie sprach leise und gefaßt; und doch hatte ihre Ruhe etwas Erschreckendes, etwas Furchtbares. Sie vermittelte den Eindruck, als sei Aflane schon seit langem gestorben. Herzversagen? Das konnte nicht sein. »Wann, Zara?«
    Ihre eingesunkenen Lippen bewegten sich. Ihre Stimme war ruhig, zu ruhig.
    »Vor zwei Monaten. Elias kam aus Algier zurück und sagte zu mir:
    ›Großmutter, ich muß dir etwas sagen, was ich dir lieber verheimlichen würde.‹ Ich sagte zu ihm: ›Ich weiß. Aflane ist tot.‹
    Elias sah mich an, als suche er Hilfe, nickte dann stumm. ›Wie ist er gestorben?‹ wollte ich wissen. Wieder Schweigen. Und nach einer Weile: ›Sein Herz hat versagt.‹ Ich habe gesagt: ›Mein Sohn hatte ein starkes Herz. Zweifellos ist etwas dazugekommen, von dem ich nichts weiß.‹ – ›Ja, so wird es wohl gewesen sein‹, hat Elias gesagt.
    Und dann ist er aus dem Zimmer gegangen. Ich habe gehört, wie er sich draußen erbrach. Elias, mußt du wissen, ist immer aufrichtig.
    Diesmal gab es Dinge, die er mir nicht sagen konnte. Ich aber hatte begriffen. Meine Tränen bewahrte ich auf. Sie waren wie Wasser in einer tiefen Grube gefangen.«
    Ihre Augen waren nun beinahe schwarz. Meine Haut spannte sich; ich fühlte, wie meine Nackenhaare sich sträubten, und verschränkte fröstelnd die Arme.
    »Du frierst«, brach Zara die Stille. »Warum frierst du?«
    »Es ist kalt«, sagte ich.
    Sie seufzte.
    »Immer um diese Jahreszeit.«
    Sie gab Matali ein Zeichen. Wortlos nahm er die Gläser, spülte sie aus und goß zum dritten Mal ein. Stille beherrschte den Raum für längere Zeit. Ich würgte ein paar Schlucke hinunter. Das dritte Glas war süßer als die beiden ersten. Die Wärme drang mir bis ins Mark.
    Ich rückte näher an Zara heran, legte meine Hand über ihre dünnen Finger.
    »Und wo ist Elias jetzt?«
    »Bei seiner Mutter. Sie ist eine Kel Ifora, erinnerst du dich?«
    Ich überlegte. Olivia hatte mir vor langer Zeit einiges über Aflane erzählt. Aflane hätte nach dem Tod des letzten Amenokals dessen Nachfolger werden sollen. Bei den Tuareg herrscht das Mutterrecht, demzufolge ist der natürliche Beschützer des Kindes nicht der Vater, sondern der älteste Bruder der Mutter, also der Onkel 86
    mütterlicherseits. Noch immer hatte der Glaube Gültigkeit, daß einzig die Mutter die Abstammung sicherte. Bei Sidi Beys Tod war Aflane knapp zwanzig, aber seine Mutter als die einzige Schwester des Königs garantierte ihm die Nachfolge. Der damalige algerische Regierungschef Hoari Boumedienne hatte seine Ernennung verhindert. Der Sozialismus galt als Leitlinie der algerischen Politik.
    Man wollte dem Staat im Staate ein Ende machen. Aflane wurde, gewissermaßen als Ersatz, ein Regierungsposten angeboten. Für eine Indoktrinierung hatte er genau das richtige Alter. Wider Erwarten bewies Aflane Gewandtheit und Scharfsinn. Er verhandelte höflich und geschickt und zeigte Kompromißbereitschaft. Er war zuerst Gemeinderat in Tarn, dann Parlamentsmitglied in Algier. Ausdauer hatte er schon immer gehabt. Er vertrat ein Volk, das auf einem Gebiet von sechshunderttausend Quadratkilometern

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