Wuestenmond
lebte. Der Friede in diesem Riesengebiet war den Algeriern wichtig, denn man hatte inzwischen darin Uran, Mangan, Magnesium und Gold gefunden.
Grenzlinien wurden wie das Allerheiligste bewacht. Für die Nomaden bedeutete es das Ende ihrer jahrtausendealten Wanderung.
Bislang hatten sie um ihr Prestige gekämpft und um die Nahrung des Tages; jetzt kämpften sie, um nicht seßhaft zu werden.
Aflane ging sehr behutsam vor – immerhin wollte er die Regierung nicht aus den Angeln heben –, aber er verlangte Einsehen. »Der Hemmschuh ist seine Frau«, hatte mir Olivia damals erklärt.
»Amenena stammt aus dem Adrar-Bergland und ist vom adligen Stammesverband der Kel Effele. Ihre Familie nannte noch vor zehn Jahren zweitausend Kamele ihr Eigentum und war auch politisch sehr einflußreich. Jetzt sind diese Leute bettelarm.«
Tatsächlich waren die Iforas-Tuareg mit der Unabhängigkeitserklärung Malis 1966 unter die Herrschaft ihrer ehemaligen Leibeigenen, den dunkelhäutigen Bambara, geraten. Die Zusammenstöße häuften sich. In den folgenden Jahren dehnte sich der Konflikt auch auf den Nachbarstaat Niger aus. Die Scharmützel zwischen Militär und Tuareggruppen, die ihre Waffen aus Libyen bezogen, führten allmählich zu einem regelrechten Vernichtungsfeldzug gegen die Nomaden. Als dazu noch die Regenfälle ausblieben und die Dürre auf den Norden übergriff, flohen die Tuareg zu Tausenden über die algerische Grenze. Die Frauen verkauften ihren letzten Schmuck, die Männer hofften, in Tarn Arbeit zu finden. Für die algerische Regierung wurde der Druck zu stark. Man pferchte die Flüchtlinge in Lastwagen, 87
vorzugsweise nachts, um kein Aufsehen zu erregen, und internierte sie in Lagern. Aflane erhob im Parlament Protest, erreichte jedoch nichts. Irgendwann entstand das Gerücht, er mache gemeinsame Sache mit den Rebellen. Sein Sohn Elias war eingezogen worden und hatte beim Militär nur wenige Freunde gefunden. Die Ehre seines Vaters war auch seine Ehre; folglich verbrachte er mehr Zeit im Gefängnis als auf dem Exerzierfeld. Nach achtzehn Monaten Kaserne schickte ihn Aflane in die Vereinigten Staaten. Er hielt es für sicherer. »Ich glaube, es kostete Aflane einige Mühe, Elias zu bändigen«, hatte Olivia damals gesagt. »Der Junge war schon immer eigensinnig. Aber das sind sie alle in der Familie. Aflane war in den siebziger Jahren der perfekte Hippie, mit Stirnband und taillenlangem Haar. Heute trägt er nur noch Stammestracht und sitzt in der Nationalversammlung.«
Und jetzt war Aflane tot! Herzversagen? dachte ich wütend. Das glaubt doch kein Mensch! In unserer Familie gibt es Asthmatiker, keine Herzkranken.
»Warum lebt seine Frau nicht hier?« fragte ich Zara.
Sie sah mich traurig an.
»Sie hat sich von Aflane getrennt.«
Wieder eine Scheidungsgeschichte, meinte ich, doch Zara schüttelte den Kopf.
»Amenena wußte, daß Aflane Nadelstiche im Dunkeln trafen, von Leuten, die eine offene Feindschaft nicht wagten. Sie ertrug das alles nicht mehr. Mali und Algerien waren zwei Mühlsteine, und unser Volk das Korn zwischen ihnen. Amenena dachte, wie eine Frau aus Großem Zelt eben denkt. Sie besprach es mit Aflane in aller Ruhe:
›Meine Liebe ist ein Hindernis auf deinem Weg. Ich muß dich verlassen und ich werde es tun. Du bist frei. Nimm eine Algerierin zur Frau. Ich kehre zu meinen Eltern zurück.‹«
Zara machte eine Pause. Ich fragte:
»Und Aflane?«
»Er liebte sie und wollte sie nicht ziehen lassen. Er hatte große Angst um sie. In der Wüste lauerten Gefahren. Die schwarzen Soldaten waren überall, ja, und schlimmer als Tiere…«
Zaras Gesicht verriet tiefen Haß. Und ich erinnerte mich: Noch vor nicht allzu langer Zeit, während der Beutezüge und Kriege, wurde keiner Frau etwas zuleide getan – niemals. Ich glaubte nicht, daß es auf der ganzen Erde ein anderes Volk mit diesem Grundsatz gab.
Wurde ein Lager angegriffen, nahmen die Männer den Kampf auf, 88
während die Frauen sich in die Zelte zurückzogen. Niemand hätte gewagt, sie dort zu belästigen. Es galt als ehrlos, eine Frau anzugreifen oder sie zu berauben. Eine Vergewaltigung? Undenkbar!
Den Täter traf ein Fluch. Das waren sehr alte Gesetze, und jeder richtete sich danach. »Stell dir vor, wie es war, als die Franzosen die Sahara eroberten«, hatte mir Olivia erzählt. »Algerien war seit 1830
französische Kolonie, nur die Tuareg hatten sich niemals ergeben. Es gelang den Franzosen, Stamm für Stamm zu unterwerfen.
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