Wuestenmond
Belichtungsmaterial und das Seil zu holen. Als er gegangen war, machte ich ein paar Fotos mit Polaroid, prüfte verschiedene Einstellungen. Mein Kopf tat abscheulich weh, und auch die Glieder schmerzten, weil ich sie so fest zusammenpreßte, aber ich dachte, laß dich nicht ablenken. Während ich arbeitete, trat Elias zu mir. Ich lächelte ihm matt und etwas schuldbewußt zu.
»Hältst du mich für verrückt?«
Fältchen zeigten sich in seinen Augenwinkeln.
»Ich denke, wir sind es beide.«
Er sagte es mit Nachdruck, so daß ich verstand. Wir lachten, und ich 180
warf mein klammes Haar aus der Stirn. »Ich kann sehr stur sein, Elias. Manchmal glaube ich, ich bin ein Tyrann. Das bringt der Beruf mit sich.«
»Vielleicht übertreffe ich dich darin«, meinte er. »Und damit du es weißt, ich gehe zuerst. Es ist nicht so, als ob ich hier zu Hause wäre.
Ich will erst mal sehen, was unten ist. Man kann nie wissen, nicht wahr?«
Meine Kehle wurde eng.
»Ach, Elias, es kostet mich Nerven! Warum habe ich mir das bloß in den Kopf gesetzt? Na ja, spielt keine Rolle mehr. Ich steige in das Loch. Und wenn es schließlich nur ist, um mir selber zu beweisen, daß ich keine Angst habe.«
Er nickte gleichmütig.
»Das ist ein Grund wie jeder andere auch.«
»Überwindung gehört schon dazu.«
Er blickte mich an.
»Ich möchte dir etwas sagen.«
Ich sah ihm in die Augen. Er legte die Hand auf meine Schulter.
»Wir sind dabei, uns zu verlieben, nicht wahr?«
»Ja«, sagte ich. »Und das gibt ein Problem.«
Serge kam zurück mit dem Zusatzmaterial und dem Seil. Inzwischen hatten Enrique und Thuy bereits von oben gefilmt. Rocco legte sich auf den Bauch, kroch näher und tastete die Ränder des Abgrunds von einer Wand zur anderen ab. Die Öffnung war ziemlich regelmäßig.
Sie hatte einen Durchmesser von etwa zwei Metern; man konnte sehen, daß sie nach unten zunehmend breiter wurde. Der Hang schien geradeaus nach unten zu führen und verlor sich nach einem verhältnismäßig hellen Abschnitt in völliger Dunkelheit. Die Wände leuchteten in verschiedenen Rot- und Gelbtönen und waren glattgeschliffen; offenbar hatte sich das Wasser eines Gießbaches ein Loch ins Gestein gebohrt, bevor es in vielen Jahrtausenden versickerte. Große, abgerundete Felsen ragten stellenweise heraus und glänzten matt im Halbdunkel. Wir hatten besprochen, daß ich Elias beim Abstieg filmen würde. Es ging mir darum, den Zuschauern die Dimensionen des Schachtes zu vermitteln. Von Anfang an drehte ich mit der HI8, richtete den Sucher auf Elias, während er die Hände auf den Boden legte und die Beine nach unten schob. Dann stützte er sich hinten mit den Händen ab, drückte das Kreuz durch und ließ sich in die Öffnung gleiten. Er kletterte barfuß von Stein zu Stein. Inzwischen beleuchtete Rocco den Schacht. Er 181
hatte eine halbe Stunde gebraucht, bis er die richtige Einstellung fand; er war in diesen Dingen sehr genau. Der Schimmer haftete an Elias’ weißer Gandura, und von einem Lichtstrahl begleitet, zeichnete sich der Umriß seines Kopfes ab. Er bewegte sich geschickt von einem Steinvorsprung zum anderen, blieb wie abgemacht auf halber Höhe stehen und sah zu mir empor. Ich schnappte gründlich nach Luft.
»Das ist aber tief.«
Ich war schon angeseilt; die Bergsteiger hatten mir damals den richtigen Knoten beigebracht. Thuy schlug mir leicht auf die Schulter.
»Augen zu!«
Ich grinste verkrampft, schob die Beine durch das Loch und schlängelte mich hinunter. Enrique und Serge hatten das Seil gut eingehakt und hielten es fest. Die Steine bildeten kleine gelbrote Inseln, auf die ich mich stützen konnte, doch die Kletterei war ungemütlich und die tanzenden Schatten verwirrten. Ich richtete die Kamera so, daß ich Elias in den Sucher bekam, und turnte vorsichtig hinab. Ich wurde mir der Tiefe dieser Höhle bewußt; sie war hohl und dunkel wie ein Brunnen. Immerhin gab mir das Seil ein Gefühl von Sicherheit. Mein Wahn oder meine Vorstellung – was es auch sein mochte – bestand im Grunde darin, daß ich unten gräßliche, gefährliche Dinge vermutete. Der Scheinwerfer sprühte von oben wie ein Zauberstab; das starke, kreidige Licht warf helle Flecken auf die Wände. Ich hatte ein sehr merkwürdiges Gefühl; das Gefühl, ich sei im Zentrum eines Kreises, dessen Durchmesser langsam immer kleiner wurde, bis er anfing, mich zu ersticken. Die Videokamera lief, es war schwierig zu filmen, weil sich bei jeder Bewegung das
Weitere Kostenlose Bücher