Wunder wie diese
weigere, mich bei ihr einzuschleimen. Etwas näher an der Wahrheit wäre, dass ich einfach nicht weiß, wie. Mal ganz ehrlich, es gibt einen Teil in mir, der gerne mit ihnen herumhängen würde, draußen vor der Hintertür, im eingeschworenen Kreis rauchen und lachen und nach der Arbeit noch in den Pub gehen. Der einzige Grund, warum sie mich nicht komplett abschotten, ist meine Freundschaft zu Chris, die wahrscheinlich für die meisten ein völliges Rätsel ist. Sie schleichen skeptisch lächelnd um mich herum und sind sehr bemüht, nicht geradeheraus unfreundlich und abweisend zu mir zu sein, weil man ja nie wissen kann, was ich möglicherweise noch an gesellschaftlichem Kapital einbringen könnte. Chris schleimt sich im Grunde genommen nirgendwo ein. Er braucht bloß seine Charmeoffensive zu starten und die Leute mögen ihn, weil er sie zum Lachen bringt und dafür sorgt, dass sie sich gut fühlen. Er ist selbstbewusst. Wo er das wohl herhat? Kann ich auch was davon haben?
Ich bin müde. Morgen ist Freitag. Netzball-Training um 7.20. Doppelstunde Geschichte, Doppelstunde Mathe. Nach der Schule muss ich von 16 bis 21 Uhr arbeiten. Um 6.20 gehe ich in Sportsachen aus dem Haus. Und um 7.20 kommt der Bus an der Schule an. Inzwischen ist es zu kalt zum Laufen. Es ist Winter.
Ich stopfe den Schulrock, die weiße Bluse, Pullover, braune Schuhe und Strumpfhose in einen Stoffbeutel. Dann packe ich meine Arbeitsklamotten ein: schwarze Cargohose, schwarze Schuhe, Socken, rote Fliege und Namensschild. Ich kämpfe mit dem Reißverschluss und prüfe das Gewicht der Tasche. Auweia.
Ich suche meine Hefter und Bücher zusammen und packe sie in meinen Rucksack: das fette Mathe-Buch, den gewaltigen Geschichtsordner und das dazugehörige Buch The Great War, das wir gerade lesen, Taschenrechner, Französisch- und Englischhefter, Französisch-Wörterbuch, Macbeth. Ich kämpfe auch mit diesem Reißverschluss und muss am Ende den Geschichtsordner wieder auspacken. Ich werde die Schulsachen auf dem Rücken tragen müssen, den Stoffbeutel über der Schulter und den Geschichtsordner unterm Arm. Ich muss dran denken, die Monatskarte in die Tasche meiner Trainingshose zu stecken, damit ich nicht alles abstellen und danach im Rucksack kramen muss, wenn der Bus kommt.
Ich zieh den Schlafanzug an, putze mir die Zähne, wasche das Gesicht und creme es ein. Dann tapse ich zu der schlafenden Jess ins Zimmer, beuge mich behutsam über sie und lausche ihrem Atem. Ich lege ihren Teddybär wieder ordentlich neben sie. Sie haben noch keine Nacht getrennt voneinander verbracht. Ich küsse sie auf die warme, kleine Wange, atme den köstlichen Duft von schlafendem Kleinkind ein und tapse wieder hinaus.
In meinem Zimmer bleibe ich lange genug vorm Spiegel stehen, um mir zu versichern, dass ich noch genauso aussehe wie gestern. Im Bett ziehe ich die Nachttischschublade auf und hole Chris’ Brief heraus. Mein Blick huscht über seine Schrift. Ich reibe die Füße aneinander, um sie zu wärmen. Ich rolle mich zusammen und denke: Die Sonne geht auf, die Sonne geht unter, und immer noch kein Chris.
Schwesternschaft
Ich weiß nicht mehr genau, wie es dazu kam, aber irgendwann sind dort, wo ich mit Penny und den anderen immer mittags esse, ein paar Jungs aufgekreuzt. Sie unterhalten sich mit uns. Na ja, mit mir nicht, aber mit den meisten anderen und am meisten eigentlich mit Penny. Die Jungs sind alle im selben Jahrgang wie wir. Keiner von ihnen ist einer der Rugby-Spieler, die ich schon mal erwähnt habe. Unsere Clique wäre ihrer gar nicht würdig. Ich schnappe ein paar ihrer Namen auf: Daniel, Leonard, Sam, James. Sie werden von einem Scott angeführt, den ich nicht abkann. Ich habe ihn dabei beobachtet, wie er dieses Jahr schon andere Mädchengruppen abgegrast hat. Er hält sich anscheinend für ganz besonders toll, ein echter Aufreißer. Einige der Jungs könnten Shampoo vertragen, andere ein Deo, wieder andere Clearasil. Sie sind sehr darum bemüht, cool rüberzukommen. Das Lachen klingt oft aufgesetzt. Manche nicken Penny zu, als würden sie sie kennen. Sie kennt sie offenbar ebenfalls.
»Woher kennst du die denn?«, raune ich ihr am ersten Tag, nachdem sie sich zu uns gesellt hatten, zu.
»Sie fahren mit dem gleichen Bus wie ich«, entgegnet sie, richtet sich auf und packt die Sandwiches aus, die ihr Dad gemacht hat.
Scott setzt sich neben sie auf die andere Seite und sie unterhalten sich fast die gesamte Mittagspause hindurch.
Ich weiß meist
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