Wunschkonzert: Roman (German Edition)
Wasserleiche wärst du viel zu schade.« Einen Moment lang sehen wir uns schweigend an, und schon wieder spüre ich ein Kribbeln. Diesmal allerdings kein unangenehmes. Tims große braune Augen glänzen im schummrigen Licht der Straßenlaternen. Erst jetzt fallen mir die irre langen Wimpern auf, die sie umrahmen. Ich räuspere mich verlegen.
»Und jetzt,
äh,
trägst du also Kontaktlinsen?«, frage ich. Tim wirkt kurz irritiert, dann schüttelt er den Kopf.
»Ich hab mir die Augen vor ein paar Jahren lasern lassen«, erklärt er.
»Ach, echt, das hast du machen lassen?«, hake ich nach und komme mir in diesem Moment relativ dämlich vor, weil ich selbst merke, wie furchtbar verkrampft ich wirke. Und als wäre das nicht schon blöd genug, schiebe ich noch ein: »Das hätte ich mich ja nicht getraut, da hätte ich zu großen Schiss gehabt, dass was schiefgeht.«
»Tja«, Tim scheint einen Moment lang seinen Gedanken nachzuhängen, »wer nichts wagt, der nichts gewinnt.«
»Kommt drauf an, was man zu verlieren hat«, plappere ich weiter, »und sein Augenlicht …«
»Stella«, werde ich von ihm lächelnd unterbrochen, »willst du jetzt allen Ernstes mit mir über Augenlasertherapien reden?«
Ich senke den Kopf und fixiere mein Glas. Dann blicke ich ihn wieder an. »Nein, du hast recht. Eigentlich nicht.«
»Gut. Dann erzähl mir lieber ein bisschen von dir.«
»Was willst du denn wissen?«
Er zuckt mit den Schultern. »Zum Beispiel, wie die kleine Stella so war.«
»Ach«, ich mache eine wegwerfende Handbewegung. »Ganz normal eigentlich, so wie alle anderen Mädchen.«
»Bist du in Hamburg aufgewachsen?«
»Nein, in Bremen. Ich bin erst nach dem Abitur hierhergezogen und habe eine Ausbildung angefangen.«
»Leben deine Eltern noch dort?«
»Ja«, erwidere ich. »Das heißt, meine Mutter. Meinen Vater habe ich zum letzten Mal gesehen, als ich sechs war.«
»Das tut mir leid.«
»Ist schon lange her«, wiegele ich ab. Wieder entsteht ein Schweigen, das diesmal von Tim unterbrochen wird.
»Und du wolltest immer in die Musikbranche?«, will er wissen.
»Ja«, gebe ich zu. Und nachdem er mir sein Pummelig-Pickelig-Geständnis gemacht hat, füge ich noch mit einem Augenzwinkern hinzu: »Als Mädchen wollte ich sogar auch eine Zeitlang mal Sängerin werden.«
»Ehrlich?«
»Ja«, gestehe ich und nicke. »Ich hab mit einer Kleiderbürste in der Hand in meinem Zimmer gestanden und Songs von Nena geschmettert.« Ich lache. »Was man als Kind halt so macht.«
»Lass doch mal was hören!«, fordert er mich auf.
Ich starre ihn entsetzt an. »Auf gar keinen Fall!«
»Warum denn nicht?«
»Weil mein Geträller höchstens für die Dusche taugt, darum nicht.«
»Würdest du das bitte den Profi beurteilen lassen?«, meint er in neckendem Tonfall.
»Ich bin
auch
Profi«, stelle ich fest. »Und außerdem sitzen wir hier in einem Café und sind von Menschenmassen umzingelt.«
»Na und?« Er guckt mich nahezu verständnislos an. »Manche Leute singen hier sogar und gehen anschließend mit dem Hut rum!«
Ich schüttele den Kopf. »Glaub mir, ich würde es höchstens schaffen, dass hier ratzfatz alle Plätze frei werden.«
»Auch schön«, Tim grinst. »Dann wären wir ganz allein.«
»Kommt trotzdem nicht in Frage«, sage ich und ignoriere seinen flirtenden Tonfall.
»Na gut«, er lehnt sich auf seinem Stuhl zurück, verschränkt die Arme vor der Brust und bedenkt mich mit einem breiten Grinsen. »Aber irgendwann werde ich dich schon noch mal zum Singen bringen«, erklärt er.
Und ich denke:
Träum weiter, Schnucki!
5. Kapitel
A m nächsten Morgen wache ich erstaunlich gut gelaunt auf. Dafür, dass ich gestern noch ununterbrochen darüber nachgedacht habe, dass ich vielleicht bald meinen Job los bin, geht’s mir prächtig. Was unter Umständen auch an dem netten Abend liegt, den ich mit Tim hatte: Bis weit nach Mitternacht waren wir noch auf der Reeperbahn unterwegs und haben uns dabei bestens unterhalten, Tim hat einen Witz nach dem nächsten gerissen, und ich habe regelrecht Muskelkater im Bauch.
Zwischendurch wurde es dann auch immer mal wieder ein bisschen ernster, als er mir erzählte, dass seine Eltern sich schon ziemlich große Sorgen machen, wie es um seine Zukunft bestellt ist. Und gerade deshalb ist es ihm umso wichtiger, allen zu zeigen, dass es die richtige Entscheidung war und er mit seiner Band Erfolg hat. An dieser Stelle seiner Erzählungen fühlte ich mich dann natürlich wieder ein
Weitere Kostenlose Bücher