Wurzeln
rachsüchtigen Ton in der Stimme des Engländers mitschwingen hören, der offenbar bemüht war, hinter einer dünnen Maske von Höflichkeit seine Verachtung zu zeigen. Er sah auch, wie sich der Nacken seines Masser plötzlich vor Ärger rötete. Nach ein paar Sekunden antwortete Masser Lea kurz und beherrscht: »Einverstanden. Was schlagt Ihr vor?«
Der Engländer überlegte. Dann sagte er langsam, als würde er noch immer darüber nachdenken: »Würden zehntausend Dollar ausreichen?«
Er ließ das erstaunte Raunen in der Menge abklingen und sagte dann: »Natürlich nur, falls Ihr tatsächlich an die Chancen Eures Tieres glaubt, Mister Lea.« Er schaute den Masser mit einem entschieden verächtlichen Lächeln an.
Nach kurzem Gemurmel verfiel die Menge in Schweigen. Die gesessen hatten, erhoben sich jetzt von ihren Plätzen. Hühner-George glaubte, sein Herz müßte stillstehen. Wie in weiter Ferne hörte er wieder Miss Malizys Bericht über Missis Leas Wut, als sie erfuhr, daß der Masser fünftausend Dollar von der Bank abgehoben hatte, was sie »etwa die Hälfte unserer Ersparnisse« genannt hatte. So wußte Hühner-George, daß Masser Lea diese Wette gar nicht eingehen konnte. Aber welche Antwort blieb ihm übrig, wenn er sich nicht vor all den Leuten hier – und das waren praktisch all seine Bekannten – lächerlich machen wollte? Hühner-George nahm an der Qual seines Masser so aufrichtigen Anteil, daß er kaum zu ihm aufzublicken wagte. Eine Ewigkeit schien zu vergehen, und was George dann hörte, ließ ihn an seinen Ohren zweifeln.
Masser Leas Stimme klang gespannt, aber beherrscht. »Wenn es dem Herrn nichts ausmacht, möchte ich die Summe verdoppeln. Wie wär’s mit zwanzigtausend ?«
Ungläubige Ausrufe erhoben sich in der Menge, es entstand einige Unruhe. Entsetzt dachte Hühner-George, daß diese Summe das gesamte Vermögen von Masser Lea ausmachte – einschließlich seines Hauses, seines Landbesitzes, seiner Sklaven und natürlich auch Georges Ersparnisse. Er sah auch das verblüffte Gesicht des Engländers, der sich jedoch schnell faßte und nun wieder grimmig entschlossen blickte. »Das nenn ich einen Sportsmann!« rief er und streckte Masser Lea seine Hand entgegen. »Ich gehe die Wette ein. Legen wir also den Tieren die Sporen an!«
Plötzlich wurde es Hühner-George klar: Der Masser mußte genau wissen, daß sein prächtiger lederfarbener Hahn gewinnen würde. Damit würde er nicht nur mit einem Schlag zu einem reichen Mann werden, sondern dieser spektakuläre Sieg würde ihn für immer zu einer legendären Figur bei all seinen armen weißen Freunden machen und ihnen beweisen, daß man auch die hochgestochensten und reichsten blaublütigen Herren herausfordern und besiegen konnte. Von jetzt an würde niemand mehr abschätzig auf Tom Lea herabblicken!
Masser Lea und der Engländer knieten hin, und in diesem Augenblick sah Hühner-George das ganze Leben des lederfarbenen Hahns blitzartig an sich vorüberziehen. Schon das ganz junge Tier hatte mit unglaublich schnellen Reflexen seine Aufmerksamkeit erregt, und der ausgewachsene Hahn hatte eine solche Bösartigkeit entwickelt, daß er jedes andere Tier durch die Öffnungen und Astlöcher in den Käfigen anzugreifen suchte; als George ihn kürzlich aus dem Freigehege holte, hätte er in Sekundenschnelle fast den alten großen Hahn, mit dem die jüngeren Tiere eingeübt wurden, getötet, wenn man ihn nicht im letzten Augenblick weggerissen hätte. Der Masser hatte diesen Vogel ausgesucht, weil er wußte, wie intelligent, aggressiv und tückisch er war. Aber auch der Gedanke an Matilda durchzuckte George, wie sie ihn wütend angeschrien hatte: »Du bist ja noch verrückter wie der Masser! Das Schlimmste, was dem passieren kann, ist, daß er wieder als armer Schlucker endet, aber du setzt die Freiheit deiner ganzen Familie auf ’n paar Hühner!«
Die drei Richter traten vor und nahmen in gleichem Abstand um den Ring Aufstellung. Die gespannte Atmosphäre ringsum ließ vorausahnen, daß sich hier etwas abspielen würde, wovon die Zuschauer noch bis an ihr Lebensende zu erzählen hätten. Hühner-George starrte auf den Masser und den Engländer, die ihre kampfeswütigen Tiere am Boden hielten und mit gespannten Gesichtern den Befehl des Schiedsrichters erwarteten.
»Pit!«
Der silberblaue und der dunkellederfarbene Hahn rasten aufeinander zu, stießen wild zusammen und prallten voneinander ab. Kaum waren sie wieder auf den Füßen, stürzten
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