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Wurzeln

Wurzeln

Titel: Wurzeln Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Haley
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Waschschüssel. Er erkannte sie zwar, es mußte Miss Malizy sein, aber sie hatte sich so verändert, daß es ihm fast unglaublich schien. Mit einem unnötig lauten »He!« erweckte er ihre Aufmerksamkeit.
    Miss Malizy ließ ihre Arbeit ruhen, hob den Kopf, schaute sich um, und dann sah sie ihn, aber er merkte sofort, daß sie ihn nicht erkannte.
    »Miss Malizy!« Er rannte auf sie zu, blieb dann aber unsicher vor ihr stehen, als er ihr noch immer fragendes Gesicht sah. Sie kniff die Augen zusammen, um ihn besser zu sehen – dann stützte sie sich plötzlich schwer auf den Holzstumpf und wuchtete sich mühsam hoch. »George – bist du nicht der Hühner-George?«
    »Ja doch, Miss Malizy!« Er stürzte auf sie zu, nahm ihre weichen Fleischmassen in seine Arme und war den Tränen nahe. »Jesses, mein Junge, wo bist du bloß gewesen? Früher warst du doch ständig hier in der Gegend!«
    Ihr Ton und ihre Worte ließen erkennen, daß sie sich der fast fünf inzwischen vergangenen Jahre nicht recht bewußt war. »Ich war doch überm großen Wasser in dem England, Miss Malizy. Mit den Kampfhähnen war ich da drüben – Miss Malizy, aber wo sind denn meine Frau und meine Mammy und meine Kinder?«
    Ihre Augen blickten leer. »Hier ist keiner nicht mehr da, Junge.« Sie schien überrascht, daß er es nicht wußte. »Sind alle weg. Nur noch der Masser und ich sind geblieben –«
    »Wo weg, Miss Malizy?« Jetzt wußte er, daß sie nicht mehr ganz bei Verstand war.
    Ihre geschwollene Hand wies auf den kleinen Weidenhain jenseits des Sklavenquartiers. »Deine Mammy – Kizzy war ihr Name – die liegt da unten –«
    Ein keuchendes Schluchzen entrang sich seiner Kehle. Er preßte die Hand vor den Mund.
    »Sarah auch – auch da unten – und die alte Missy – die liegt im Vorderhof – hast du’s nicht gesehn, wie du hergeritten bist?«
    »Miss Malizy, wo ist Tilda? Und meine Kinder?«
    Er wollte sie nicht schütteln. Sie mußte einen Augenblick nachdenken.
    »Tilda? Ach ja. Tilda war ein gutes Mädchen. Ja, das war sie. Hat ’ne Menge Kinder gehabt. Ja, ja. Junge, du solltest eigentlich wissen, daß der Masser sie verkauft hat, ist schon lange her –«
    »Wohin, Miss Malizy, wohin?« Wut stieg in ihm auf. »Wo ist der Masser, Miss Malizy?«
    Sie drehte ihren Kopf nach dem Haus hin. »Da oben. Aber der schläft noch, denk ich. Ist immer so besoffen und steht erst spät auf, und dann brüllt er, er will was zu essen – und zu essen haben wir kaum was – Junge, hast du was zu kochen mitgebracht?«
    Hühner-George gab der verwirrten alten Frau ein entschiedenes »Nein«, lief durch die baufällige Küche den einsturzreifen Flur entlang in das stinkende, unordentliche Wohnzimmer und blieb am Fuß der kurzen Treppe stehen. Er brüllte wütend: »Masser Lea!«
    Nach kurzem Warten rief er abermals. »Masser Lea!«
    Er war schon im Begriff hinaufzurennen, als er oben Geräusche hörte. Nach einer Weile erschien die zerzauste Gestalt des Masser in der Tür.
    Trotz all seiner Wut blieb Hühner-George betroffen und wie angewurzelt stehen, als er seinen bis auf die Knochen abgemagerten, unrasierten und verwahrlost aussehenden Masser erblickte. Offensichtlich hatte er in seinen Kleidern geschlafen. »Masser Lea?«
    »George!« Den alten Mann durchfuhr es wie ein Stoß. »George!« Er kam die quietschende Treppe heruntergetorkelt; sie standen sich gegenüber und starrten einander an. Die Augen in dem hohlwangigen Gesicht des Masser wurden wässerig, dann trat er schrill kichernd mit ausgebreiteten Armen auf Hühner-George zu, der ihm auswich. Er ergriff die knochigen Hände des Masser und schüttelte sie kräftig.
    »George, bin ja so froh, daß du wieder da bist! Wo hast du denn gesteckt? Hättst doch schon lange wieder zurück sein sollen!«
    »Jasörr, Masser. Ja doch. Lord Russell hat mich einfach nicht gelassen. Und dann hab ich acht Tage gebraucht von Richmond bis hierher.«
    »Junge, komm mal hier in die Küche rein!« Masser Lea zerrte Hühner-George bei den Handgelenken. In der Küche rückte er die beiden Stühle an den zerbrochenen Tisch. » Setzen , Junge! LIZY! Wo ist mein Krug? LIZY!«
    »Komm schon, Masser«, tönte die Stimme der alten Frau von draußen.
    »Die ist nicht mehr ganz da, seit du weg bist – kann gestern nicht mehr von morgen unterscheiden.«
    »Masser, wo ist meine Familie?«
    »Junge, trinken wir erst mal was, bevor wir reden! Jetzt sind wir schon so lange zusammen gewesen und haben noch nie was zusammen

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