Wurzeln
nichts; der Panther allerdings flüchtete in den Wald, als er die brüllenden Jungen auf sich zukommen sah, und die wütenden Hunde folgten ihm.
Der Gestank des Panthers und der Anblick der gerissenen Ziege machten Kunta übel; ihr Leib war aufgerissen, ganz von Blut überströmt, und man sah, daß das Ungeborene in ihr noch lebte. Nahebei wälzte sich der ebenfalls schwerverletzte Hund und versuchte, winselnd zu Kunta hinzukriechen. Kunta mußte erbrechen und schaute Sitafa an, der mit angstverzerrtem Gesicht neben ihm stand.
Kunta sah durch einen Tränenschleier, daß die anderen von ihm zurückwichen, die Blicke schreckerfüllt auf die gerissene Ziege und den verletzten Hund gerichtet; nur Sitafa blieb bei ihm und legte den Arm um Kuntas Schulter. Keiner sagte ein Wort, doch greifbar in der Luft stand die Frage: Wie wird er das seinem Vater sagen? Kunta fand endlich die Sprache wieder. »Paßt du mal auf meine Ziegen auf?« sagte er zu Sitafa. »Ich muß meinem Vater das Fell bringen.«
Sitafa besprach sich kurz mit einigen anderen, und zwei Knaben brachten den winselnden Hund weg. Kunta bedeutete Sitafa, sich zu den anderen zu gesellen, kniete hin und balgte die Ziege mit dem Messer ab, wie er es den Vater hatte tun sehen. Er deckte den Kadaver samt dem ungeborenen Jungen mit Gras zu und machte sich auf den Heimweg. Schon einmal hatte er beim Hüten nicht aufgepaßt und sich damals geschworen, das nie wieder zu tun. Nun war es doch geschehen, und eine Ziege war tot!
Er hoffte verzweifelt, dies sei nur ein Alptraum, aus dem er gleich erwachen werde, doch das blutige Fell in seinen Händen belehrte ihn eines anderen. Er wünschte, tot zu sein, wußte aber, daß seine Schande auch dann den Vorfahren bekannt werden würde. Gewiß straft Allah mich, weil ich geprahlt habe, dachte er. Er kniete in die Richtung, in der die Sonne aufgeht, und betete um Vergebung.
Aufstehend sah er, daß sein kafo alle Ziegen eingesammelt hatte und sich zur Heimkehr vorbereitete; alle nahmen die Bündel mit Feuerholz auf den Kopf, einer trug den verletzten Hund. Zwei weitere Hunde hinkten schlimm. Sitafa bemerkte, daß Kunta zu ihnen hersah, er setzte seine Last ab und wollte zu Kunta eilen, doch dieser winkte ab – Sitafa solle bei den anderen bleiben.
Jeder Schritt auf dem ausgetretenen Ziegenpfad schien Kunta seinem Ende näher zu bringen, dem Ende aller Dinge, wie ihm schien. Schuldgefühle, Angst und Benommenheit packten ihn abwechselnd. Man würde ihn fortschicken. Binta, Lamin und Nyo Boto würden ihm fehlen, sogar der Unterricht beim arafang würde ihm fehlen. Er dachte an die verstorbene Großmutter Yaisa, an den heiligmäßigen Großvater, dessen Namen er mit Schande bedeckt hatte, an die berühmten, weitgereisten Onkel, die ein ganzes Dorf gebaut hatten. Ihm fiel ein, daß er kein Feuerholz mitbrachte. Die gerissene Ziege war ein besonders liebes, munteres Tier gewesen, eine Einzelgängerin, die sich gern von den anderen trennte. Und er dachte an das ungeborene Geißlein. Und hinter allen diesen Gedanken stand drohend der eine Gedanke, der ihm am schrecklichsten war und den er nicht verdrängen konnte: der Gedanke an den Vater.
Völlig verwirrt, unfähig weiterzugehen, blieb er an Ort und Stelle und stierte vor sich den Pfad hinab, auf dem jetzt jemand auf ihn zugelaufen kam: Omoro. Wie hatte er es erfahren? Kein Knabe würde gewagt haben, es ihm zu erzählen!
»Fehlt dir etwas?« fragte Kuntas Vater.
Kuntas Zunge schien am Gaumen zu kleben. »Ja, fa «, brachte er schließlich heraus, doch da hatte Omoro bereits bemerkt, daß das Blut an Kuntas dundiko das der Ziege und nicht das seines Sohnes war. Omoro nahm ihm das Fell ab und legte es ins Gras. »Setz dich«, befahl er, und Kunta ließ sich zitternd ihm gegenüber nieder.
Omoro sagte: »Du mußt wissen, daß alle Menschen Fehler machen. Als ich so viele Regen zählte wie du, habe ich auch eine Ziege verloren. An einen Löwen.« Er entblößte seine linke Hüfte. Kunta sah entsetzt eine blasse Narbe. »Ich habe lernen müssen, und auch du mußt lernen!« Omoro blickte seinen Sohn eindringlich an. »Geh niemals ein gefährliches Raubtier an. Niemals , hörst du?«
»Ja, fa .«
Omoro stand auf und warf das Ziegenfell weit weg in den Busch. »Weiter gibt es dazu nichts zu sagen.«
Kunta war ganz wirr im Kopf, als er hinter seinem Vater auf das Dorf zuging. Größer noch als sein Schuldgefühl und seine Erleichterung war die Liebe, die er in diesem Moment für den
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