Wurzeln
schimmerte im Mondschein. Es schien, als schliefe er, doch am Zucken der Ohren und Nüstern war zu erkennen, daß er beim geringsten Zeichen der Annäherung von Pavianen, die seit kurzem allnächtlich in die Felder einfielen, aufspringen würde. Während dieser langen Nächte bestand Kuntas einziges Vergnügen darin, mit anzuhören, wie mehrmals im Laufe der Nacht im Busch ein Pavian loskreischte, der von einer Raubkatze angefallen wurde, und besonders freute ihn, wenn der Schrei abrupt abbrach, was nämlich bedeutete, daß der Pavian nicht entwischt war.
Jetzt allerdings, da Kunta auf seinem Ausguck kauerte und auf die Felder schaute, war es ruhig. Das einzige Lebenszeichen war die Grasfackel des Hirten vom Stamm der Fulani, der in einiger Entfernung seine Tiere hütete und mit der Fackel Raubzeug verscheuchte, das ihnen zu nahe kam. Vermutlich hatte eine Hyäne sich an seine Kühe herangemacht. Die Fulanis galten als die besten Hirten, es hieß, sie könnten mit ihren Tieren reden. Von Omoro wußte Kunta, daß ein Teil ihres Lohnes in der Erlaubnis bestand, am Ende jeden Arbeitstages einer Kuh etwas Blut abzuzapfen, das sie dann mit Milch verdünnt tranken. Sonderbare Menschen, dachte Kunta. Immerhin leben sie in Gambia, auch wenn sie keine Mandinkas sind. Um wieviel fremdartiger müssen doch Menschen und Gewohnheiten jenseits unserer Landesgrenzen sein!
Seit seiner Rückkehr von dem Ausflug mit Lamin war noch kein Mond vergangen, und schon verspürte Kunta die größte Lust, eine neue Reise anzutreten, diesmal aber eine richtige. Auch andere seines kafo planten, auf Reisen zu gehen, sobald Mais und Erdnüsse geerntet sein würden, aber weit weg wollte keiner. Kunta indessen wollte zu dem fernen Ort Mali und mit eigenen Augen sehen, wo Omoros und Berichten der Onkel zufolge der Kinte-Clan seinen Ursprung genommen hatte. Seine Vorväter waren, so erinnerte er sich, berühmte Schmiede gewesen, Männer, die das Feuer zähmten und dazu benutzten, Waffen aus Eisen herzustellen, mit denen Kriege gewonnen wurden, und Werkzeug aus Eisen, das die Bestellung des Bodens leichter machte. Von diesen Vorfahren hatten alle Kintes den Namen, und auch alle, die im Dienst der Kintes gestanden hatten. Ein Zweig dieser Familie war dann nach Mauretanien übersiedelt, woher sein Großvater stammte, jener heilige Mann.
Kunta wünschte nicht, daß irgendwer, nicht einmal Omoro, Wind von seinem Vorhaben bekommen sollte, und er beriet sich im strengsten Vertrauen mit dem arafang über den besten Weg nach Mali. Der arafang zeichnete mit der Fingerspitze eine Karte in den Staub; Kunta müsse sechs Tage am Ufer des Kamby Bolongo Richtung Sonnenaufgang wandern, dann würde er die Insel Samo erblicken. Dahinter mache der Fluß eine scharfe Biegung nach links und winde sich fortan wie eine Schlange; auch gingen Seitenarme von ihm aus, ebensobreit wie der Hauptstrom, und an manchen Orten stünden die zehnmännerhohen Mangroven so dicht, daß das Ufer nicht mehr auszumachen sei. Wo das Ufer zu sehen sei, wimmele es von Affen, Flußpferden, Krokodilen und Pavianen in Horden von fünfhundert Stück und mehr.
Zwei oder drei Tage beschwerlicher Wanderung den Strom entlang würden Kunta zu einer zweiten Insel bringen, gebildet aus Klippen, mit Buschwerk und kleineren Bäumen bestanden. Danach führe der Uferpfad ihn an den Orten Bansang, Karantaba und Diabugu vorbei und kurz darauf an die Grenze zwischen Gambia und dem Königreich Fulladu. Eine halbe Tagesreise hinter der Grenze liege das Dorf Fatoto. Kunta suchte das Stück gegerbte Haut heraus, auf das der arafang den Namen seines Kollegen in Fatoto geschrieben hatte, der Kunta sagen sollte, wie er in weiteren zwölf bis vierzehn Tagen ein Senegal genanntes Land durchqueren könne. Dahinter, so der arafang , gelange Kunta dann an sein Ziel Mali mit der Hauptstadt Ka-ba. Für den Hin- und Rückweg würde Kunta nach Meinung des arafang einen guten Mond brauchen, ungerechnet die Zeit, die er in Mali verweilen wolle.
Kunta hatte den Weg so oft in den Lehmboden seiner Hütte geritzt – und jeweils vor Bintas Erscheinen weggewischt –, daß er ihn auch jetzt, hier draußen in der Nacht, deutlich vor sich sah. Er malte sich aus, welche Abenteuer ihm in Mali und auf der Reise bevorstanden, und konnte es kaum noch abwarten. Er brannte auch darauf, Lamin davon zu erzählen, nicht nur, um sich endlich einmal jemandem anzuvertrauen, sondern auch, weil er den jüngeren Bruder mitnehmen wollte. Lamin hatte
Weitere Kostenlose Bücher